taz-serie „ins wasser gefallen“ (teil 2): kanu fahren in brandenburg an der havel : Die Geschichte vom Wasser aus erleben
Ist der Sommer ins Wasser gefallen? Natürlich nicht. Es sei denn, die Rede ist vom Wassertourismus, der in Brandenburg mit seinen 3.000 Seen und 33.000 Kilometer Fließgewässern immer mehr Zulauf findet. Vom Paddeln bis zum Charterbootfahren – alles ist möglich, wie die taz-Serie zeigt
Dass Brandenburg an der Havel eine Stadt mit Geschichte ist, hat nicht nur mit der 850-Jahr-Feier zu tun, die in diesem Jahr gefeiert wird. Man kann es auch sehen. In den drei mittelalterlichen Stadtteilen Dominsel, Altstadt und Neustadt lässt sich erleben, wie aus der Wiege des Landes Brandenburg eine Industriestadt wurde, die nun, am Ende ihrer industriellen Geschichte, nach einer neuen Zukunft sucht. Man braucht dafür nur etwas Zeit und ein Kanu.
Die Kanutour durch die Geschichte der Stadt Brandenburg beginnt an der Jahrtausendbrücke. Die wurde 1929 über der Havel errichtet und erinnert an die Eroberung der Brandenburg durch Heinrich I., die zugleich das Gründungsdatum der Stadt ist. Unterhalb der eleganten Brücke und ihrer Bebauung im Stil der klassischen Moderne findet sich die Cafébar am Havelufer samt Bootsverleih. Vier Stunden Kanu kosten 18 Euro, wasserdichte Gepäcktonne inbegriffen.
Havelabwärts geht es hinein in den Schleusenkanal aus dem 16. Jahrhundert. Hat man die alte Stadtschleuse hinter sich, steht linker Hand der Steintorturm aus dem Jahre 1430. Der ist nicht nur der Eingang zur Brandenburger Neustadt, seit 2001 wird im Turm auch die Geschichte der Havelschifffahrt ausgestellt. Dabei wird deutlich, dass die Havel sowohl bei der Gründung des mittelalterlichen Brandenburg ein Wörtchen mitgeredet hat als auch bei der Industrialisierung der Stadt.
Nirgends wird dies deutlicher als am Stadtkanal, der dem Schleusenkanal folgt. Während sich zur Linken die Ruine des mittelalterlichen Dominikanerklosters erhebt, reiht sich rechter Hand ein Industriebau nach dem andern. Der berühmteste unter ihnen beherbergte ab 1909 die Brennabor-Werke der Gebrüder Reichstein, in denen bis zum Krieg Autos gebaut wurden. Heute haben sich in den Höfen zwischen Kanalufer und Kirchhofstraße zahlreiche Dienstleistungsunternehmen angesiedelt.
Hinter der Sankt-Annen-Brücke nähern wir uns dem Mühlendamm, der die Neustadt mit der Dominsel verbindet. Hier zeigt sich Brandenburgs Wasser von seiner Schokoladenseite. Im Schilf waten die Reiher, am Mühlendamm schaukeln die Fischerkähne, einer von ihnen beherbergt ein Restaurant. Die historischen Speicher, in denen einst das Getreide gelagert wurde, sind inzwischen saniert. Wer eine Pause braucht, kann am Mühlendamm auch anlegen, wie uns die „gelbe Welle“, das Markenzeichen des Brandenburger Wassertourismus, signalisiert.
Doch die Beschaulichkeit am Mühlendamm war nur der Beginn. Im weiteren Verlauf des Stadtkanals ist von einer künstlichen Wasserstraße nicht mehr viel zu merken. Die Ufer verbreitern sich, zwischen den Schilfgürteln führen kleine Wege zu Badebuchten.
Ein jähes Ende erfährt die Idylle freilich beim Einfahrt in den Silokanal. Der wurde gebaut, als der alte Stadtkanal die wachsende Binnenschifffahrt auf der Havel nicht mehr bewältigen konnte. Aber auch das ist ein Teil der brandenburgischen Stadt- und Industriegeschichte auf dem Wasser. 1913 wurde am Silokanal das Stahl- und Walzwerk errichtet, das erste seiner Art im damaligen Ostelbien.
Den Silokanal muss der Wassersportler nehmen, wenn man sich nicht die kleine, sondern die große Brandenburg-Umfahrung vorgenommen hat. Nach einer halben Stunde und einer Schleusung neben den großen Schubverbänden ist der Spuk wieder vorbei. Links vor uns liegt der Beetzsee, und der führt wieder geradewegs in die Beschaulichkeit der schönsten Altstadt des Landes.
Das liegt vor allem an der Dominsel. Nirgendwo ist der Ort, an dem einst die Brandenburg stand, so schön zu beobachten wie vom „Domstreng“ aus, einer kleinen Verbindung zwischen niederer Havel und Nuhlenhavel. Und so steht er vor uns, der Dom St. Peter und Paul, umgeben von grünen Gassen und einer Ruhe, die selbst die zahlreichen Touristen nicht stören können.
Langsam nähert sich die Tour ihrem Ende. Schnell noch ein kleines Bier am Ufer des Beetzsees, dann sind wir wieder an der Jahrtausendbrücke – und in der Gegenwart. Vier Stunden mit dem Kanu über Brandenburgs Altstadtgewässer, und man hat mehr gesehen von dieser Stadt als auf jeder Straße. UWE RADA