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Archiv-Artikel

strafplanet erde: zitieren beim werkeln von DIETRICH ZUR NEDDEN

Mit der Raffinesse Tom Sawyers, der die Strafarbeit, Tante Pollys Gartenzaun anzustreichen, den Vorbeigehenden als reines Vergnügen verkauft, hatte Holberg die Renovierung seiner Wohnung dem Freundeskreis schmackhaft gemacht. Der Unterschied war, dass Holberg generös darauf verzichtete, von den Teilnehmern eine Gebühr zu verlangen. Wenn ihn seine Erinnerung nicht trüge, sagte Holberg am Telefon in seiner gewohnt weit ausholenden Diktion, seien solche Arbeitseinsätze eine blendende Gelegenheit, sich ohne starre Tagesordnung auszutauschen: „Man sieht sich doch viel seltener als früher!“ Während man „ein bissel so werkelt“, sagte Holberg, würden geschliffene Dialoge funkeln, ein Feuerwerk der Bonmots abbrennen, ein Aperçu das andere geben und in null Komma nix sei die Angelegenheit erledigt. Zusätzlich – „Und jetzt kommt’s!“ – würde er unter den Anwesenden zwei Freikarten für das Hundertwasser-Musical von Konstantin Wecker in Uelzen verlosen. Ob es daran lag, dass Krayling, Noll und Bechtold der Einladung Folge leisteten?

Bechtold überlegte, wie lange er Krayling nicht gesehen hatte. An ihre Abschiedsworte damals entsann er sich dagegen genau: „Warum eigentlich benehmen sich manche Männer, wenn man sich nach einer gemeinsam verbrachten Nacht wiedersieht, als ob sie einem Geld schulden?“

Holbergs Wohnungstür stand offen, im Zimmer links vom Flur eine Trinität aus klumpigem Kleister, gröbster Raufaser und wacklig-schiefem Tisch, nicht ganz so lang wie der auf da Vincis Abendmahl. Tapezieren! Insgeheim setzte Bechtold eine beträchtliche Summe darauf, dass Holberg und nicht Noll den bekanntesten Satz aus diesem speziellen Heimwerkersegment zitieren würde. Und da fiel er schon: „Würden Sie, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“ Holbergs Stimme drang aus der Küche und Bechtold, den alle damals „den Krittler“ genannt hatten, wartete auf die fehlerhafte Quellenangabe. Noll tat ihm den Gefallen: „Honecker, stimmt’s?“ Jetzt war Bechtold an der Reihe: „Eben nicht. Sondern Politbüromitglied Kurt Hager im April 87.“

Jetzt meldete sich Krayling aus dem Off, dem Schlafzimmer. „Könnte ich vielleicht verwenden“, sagte sie. Wie sich herausstellte, sammelte sie ständig Material, um es beim Hörfunk als „Zeitzeichen“ anzubieten. Vor kurzem habe sie den Zuschlag für „50 Jahre Elstar“ erhalten. „Nicht Superstar oder so was, sondern Elstar.“ Die Apfelsorte, 1955 aus der Kreuzung von Golden Delicous und Ingrid Marie gezeugt. Während Holberg die ersten Takte des Schlagers „Marie, Marie“ pfiff, begann Bechtold damit, die Tapetenschichten abzureißen, und stieß auf alte Zeitungsseiten, die auf dem Wandputz klebten. Laut las er die Schlagzeile des Berliner Lokal-Anzeigers vom 30. November 43: „Der Führer Doppelpunkt Sieg oder Untergang!“ Als Erste sagte Krayling was dazu. „Also, wenn ich jetzt Pilotin bei den Alliierten gewesen wäre und das gehört hätte, dann hätte ich mir vermutlich gesagt: ‚Jeder kriegt, was er bestellt hat.‘ “

An wen die Billets für das Musical gegangen sind, ist leider nicht überliefert.