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Archiv-Artikel

strafplanet erde: jahreszeitliches lichtspieltheater von DIETRICH ZUR NEDDEN

Man muss nicht bei Adam und Eva beginnen, um den Anfang der Geschichte optischer Merkwürdigkeiten zu erzählen, aber man kann. Der Baum der Erkenntnis, Sie wissen schon. Es wird ein wolkenloser Sommertag gewesen sein, als die beiden Paradiesinsassen auf dem schattigen Boden unter dem Blätterdach einen ungeordneten Haufen Lichtflecken wahrnahmen, unzählige Kreise und Ellipsen, manche miteinander verwoben, einander berührend, wie die Beobachter selbst. Strukturen aus Hell und Dunkel, deren Entstehung sie mit dem Flechtwerk der Zweige erklärt hätten, mit dem Zufall, dass manche Zwischenräume eben rund oder annähernd rund sein: Die Sonnenstrahlen fallen hindurch und zeichnen das Muster. Es wäre ein Irrtum gewesen.

Nur wenige erdgeschichtliche Sekunden später beobachtet Aristoteles, vielleicht auf der Suche nach einem Pendant zu Platons Schattentheater in der Höhle, während einer partiellen Sonnenfinsternis, wie die Sonnensichel durch das Laub einer Platane dringt und auf dem Erdboden landet. Seitenverkehrt! Tastend fragt er: „Warum erzeugt die Sonne, wenn sie durch viereckige Gebilde dringt, nicht rechteckig gebildete Formen, sondern Kreise, wie zum Beispiel, wenn sie durch Flechtwerk dringt!“ („Problemata“, Buch XV, Problem 6).

Die Öffnungen der Baumkrone sind Teil einer dunklen Kammer. Die gleißenden Münzen sind Abbilder der Sonne, projiziert gewissermaßen von einer Camera obscura naturalis, nämlich den Lücken zwischen den Blättern. Naturkino.

In China war man der Lichtspielerei auch auf der Spur, und Leonardo da Vinci beschrieb 1490 das Prinzip akkurat in seinem Manuskript D: „Wenn die Bilder kleiner angeleuchteter Gegenstände eine kleine runde Öffnung passieren und in einen sehr dunklen Raum gelangen, und wenn man sie auf einem Stück weißen Papiers, das senkrecht in dem Raum in einiger Entfernung von der Öffnung aufgestellt ist, empfängt, dann sieht man auf dem Papier all jene Objekte in ihren natürlichen Formen und Farben.“

Bis zum Diaprojektor und Videobeamer war dann der Weg nicht mehr allzu weit, aber vorher wollten die Sonnentaler noch physikalisch richtig erklärt werden. Johannes Kepler – geboren 1571 „in einer kleinen, fensterlosen Kammer eines Fachwerkhauses“ – machte das, habe ich gelesen und nichts verstanden, sondern driftete herum zwischen den Wortfaszinationen: Himmelsmechanik und Planetenbahnen, Mysterium cosmographicum und Harmonicis mundi; spätestens bei der Totalreflexion bleibt man irritiert hängen. Und gerät auf ein anderes Gebiet, auf dem Kepler brillierte. Weil ihn ein Weinhändler übervorteilt hatte, schrieb er in seiner „Nova Stereometria Doliorum Vinorum“ (Linz 1615) eine Untersuchung über das Volumen von Weinfässern. In lateinischer Sprache allerdings, so dass dem Buch „kein besonderer Verkaufserfolg beschieden“ war.

Tja, und ich habe davon erst vor wenigen Wochen erfahren, nachdem ich im Stadtwald mitten auf dem Weg einen Haufen Sonnentaler bemerkt hatte.