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Archiv-Artikel

strafplanet erde: gewindeschnecken zur ewigkeit von DIETRICH ZUR NEDDEN

Stoliczka erzählte, er habe seine Reise nach Umbrien unterbrochen und sei in den Zug nach Zürich gestiegen. In Kapielskis Buch „Weltgunst“ hatte Stoliczka, der einzige physikalisch Gebildete im Bekanntenkreis, von einer Ewigkeitsmaschine gelesen, die im Technischen Museum von Zürich anzutreffen sei. Die wollte er sehen.

In einer hyperaktiven Ära der kolossalen Aufregungen und mörderischen Verbrechen, der absurdesten Gemeinheiten und bösartigsten Konvulsionen sich so sehr für eine Ewigkeitsmaschine zu interessieren, dass man einen kostspieligen Umweg auf sich nimmt, um sie zu betrachten, bedürfte vielleicht einer Erklärung, eventuell gar einer Überprüfung des Stoliczka’schen Geisteszustandes, aber nun gut, man steckt ja nicht drin, man hört ja nur zu, man reist ja nicht mit. Glücklicherweise, denn in Zürich stellte Stoliczka fest, dass dort keine Ewigkeitsmaschine vorhanden war, dort obendrein gar kein Technisches Museum zu besuchen ist. Man verwies ihn auf das Technorama in Winterthur, dort sei eine Ewigkeitsmaschine ausgestellt.

So war’s. Staunend nahm Stoliczka die „Maschine in Granit“ in Augenschein, die, wie er später herausfand, ein Nachbau der „Maschine in Beton“ des Künstlers Arthur Ganson ist. Eine Maschine mit Elektromotor, Antriebswelle und zwölf Zahnrädern, die elektronikfrei der Ewigkeit entgegenkreist.

„Nu’ ma’ gaanz langsam“, schickte Stoliczka voraus und legte los: Die Antriebswelle, das Zahnrad des Motors, drehe sich mit 200 Umdrehungen pro Minute. Damit sei ein Zahnrad, die erste Getriebestufe, verbunden, dessen Geschwindigkeit mithilfe einer Gewindeschnecke im Verhältnis 1 zu 50 heruntergesetzt sei. Darauf ich: „???“ – „Das heißt, das Ausgangszahnrad muss sich 50 Mal drehen, damit sich das zweite einmal dreht. Es braucht also für eine Umdrehung 15 Sekunden.“ Ich nickte, rechnete aber nicht nach. Diese Geschwindigkeit werde in der nächsten Stufe, beim nächsten Zahnrad, in demselben Verhältnis heruntergesetzt, fuhr Stoliczka fort, das brauche also schon 12,5 Minuten für eine Umdrehung. Und so weiter und so fort. Das letzte, das zwölfte Zahnrad dann benötige „schlanke 2,32 Billionen Jahre“ für eine Umdrehung.

Nun seien – Stoliczka goss Grüntee nach – nun seien 2,32 Billionen Jahre das 169,3-fache des Weltalters, das nach heutiger Schätzung 13,7 Milliarden Jahre betrage. Das letzte Zahnrad benötige also „übern Daumen“ 169 mal mehr Zeit als ein bisheriges Weltalter. Stoliczka memorierte aus dem Kapielski’schen Buch: „Das letzte Rad der Maschine steht also still und bewegt sich nicht und bewegt sich doch und steht nie still. Der unbewegte Beweger des Aristoteles ist hier ein bewegtes Unbewegtes.“ Das letzte Zahnrad, nun war wieder Stoliczka dran, sei mit dem Granitblock verschraubt: „Warum auch nicht?“ Es brauche schon einige hundert Jahre, bis sich ein Zahn auch nur um den Durchmesser eines Atoms bewegt. Bliebe aber der Maschine unendlichste Zeit, würde sie den Granit brechen, da hier, am Ende der Maschine, auch die ermesslich unermesslichste Kraft anliegen muss. „Und was ist jetzt eine Gewindeschnecke?“, fragte ich. Tief holte Stoliczka Luft und begann von vorne.