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Archiv-Artikel

strafplanet erde: finnland in technicolor von DIETRICH ZUR NEDDEN

Die rein private finnische Woche begann mit einem Vorfall, der mich zu einer Hymne, nun, wagen wir ruhig mal das große Wort: inspirierte – gerichtet an die Nachgeborenen in mittleren Großstädten Norddeutschlands, die in nicht allzu ferner Zeit Fragen stellen wie: Was ist ein Programmkino? Denn es wird Orte wie diese wahrscheinlich nicht mehr lange geben; und man wird eine Geschichte wie die folgende nicht mehr erleben:

Es ist einige Wochen her, als ich an einem Donnerstagabend um halb elf den nicht mehr ganz neuen Film von Kaurismäki angucken wollte. Außer mir wollte das aber niemand der anderen über eine halbe Million Einwohner, und der junge Mann an der Kasse bat um Nachsicht, dass die Vorstellung ausfalle, wenn sich daran nichts ändere. Lohnt sich nicht. Fand ich okay, hatte ich als Sympathisant Verständnis für und wechselte ins Nachbarkino, wo Michael Moores „Bowling for Colombine“ lief. Auch ’ne Idee, hatte man ja auch schon von gehört.

Kurz nach der Werbung tippt mir jemand auf die Schulter. „Du wolltest doch auch den Kaurismäki sehen?“ Es stellte sich heraus, dass sich noch zwei Paare eingefunden hatten, um „Der Mann ohne Vergangenheit“ anzuschauen. Und irgendjemand – es war bestimmt die attraktive Dunkelhaarige – hatte daran gedacht, mir Bescheid zu sagen. Ich war ein bisschen gerührt von so viel Umsicht und beispielhaftem sozialem Handeln. Im Quintett genossen wir dann Kaurismäkis humanistisches Meisterwerk in den prachtvollen Technicolor-Farben, hörten tröstliche Sätze wie „Vor den Kindern schlägt sie mich aber nie“ oder „Siehst du mich mal in der Gosse liegen, dreh mich um“ – alles in allem Dialoge, bei denen man nicht auf die Idee kommt, im originalen Finnisch seien sie bestimmt besser.

Im Geiste des Films bedankte ich mich nachher bei den anderen, die sich die Mühe gemacht hatten, mich zu informieren. Zum Abschied tauschten wir freundliche Blicke. Ein schöner Abend, der ausklang mit der Lektüre von Jari Tervos Roman „Die Geschichte meiner Familie“. Bücher, in denen ein Schriftsteller darüber schreibt, wie er ein Buch schreibt, sind erfahrungsgemäß mit größter Vorsicht in die Hand zu nehmen, darin kommen dann vielleicht Personen vor, die „seitenlang zögern, ob sie sich eine Zigarette anstecken wollten oder nicht“. Tervos Buch ist anders. Dies hier ist gut, denn dieser Schriftsteller setzt seine Einstellung in die Tat um: „Ich lebte nicht, um mir Freunde zu machen, sondern um Bücher zu schreiben.“ Aus denen er dann auch bei einer Lesung in der Provinz vorträgt. Die sechs Zuhörer sind gelinde gesagt reserviert, wenn nicht feindselig bis auf die, die „wie eine Hausfrau aussah“: „Auch werktags abends schminkte sie sich wie eine Russin, benutzte beim Lippenstift Farbtöne, die in unserem Land selten waren.“ Dass der Abend in einer Schlägerei endet, bei der der Ich-Erzähler übel zugerichtet wird, versteht sich fast von selbst.

Logisch, dass am Wochenende ein Saunabesuch auf dem Programm stand. Der mit dem appen Arm war auch da.