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Archiv-Artikel

strafplanet erde: butter bei die fische von DIETRICH ZUR NEDDEN

„Eigenheime haben wir hier vertrunken, das war schön!“, ruft Michael in die Runde. Gut gemeint, doch dem Weltkulturerbe-Komitee der Unesco wird das allein nicht genügen. Unser Arbeitskreis hat einige Mitglieder zur Ortsbesichtigung eingeladen. Die Gaststätte „Vater und Sohn“ ist essenziell bedroht. Ende März wird Aribert, der Eigentümer und Wirt, sich aus dem Arbeitsleben zurückziehen und dieses Kleinod humaner Gastlichkeit einer ungewissen Zukunft überantworten. Eine euphemistische Formulierung: Nüchtern betrachtet – und es ist höchste Zeit, nüchtern zu werden – tut sich ein gähnender Schlund vor uns auf. Mit diesem Refugium verschwindet ein singuläres Exempel konkreter Utopie vom Antlitz der Erde.

Nach Jahrzehnten des trunkenen Fatalismus, des bequemen Räsonnierens an Tisch oder Tresen ist die Zeit des Handelns gekommen. Uns des Wagnisses einer folkloristischen Musealisierung durchaus bewusst, haben wir die Kriterien für die Aufnahme in die Unesco-Liste studiert, auf der bislang nur leblose deutsche Antiquitäten wie der Kölner Dom, die Wartburg oder die Zeche Zollverein stehen. Das Objekt müsse „ein einzigartiges oder zumindest außergewöhnliches Zeugnis einer untergegangenen Zivilisation oder Kulturtradition“ darstellen, heißt es da. Dass „Vater und Sohn“, inmitten des sterbenden Europa gelegen, genauer: in der Warmbüchenstraße, diese Bedingung erfüllt, bedarf keiner Erläuterung. Das ist auch dem glücklichen Lächeln des Herrn Yu Xiaoping zu entnehmen, Staatssekretär im Ministerium für den Schutz kultureller Relikte in China, als ich bei Anne, dem Vorbild an Aufmerksamkeit, Zuwendung und Herzlichkeit für alle Chefkellnerinnen, den nächsten Krug Weihenstephaner für ihn bestelle.

Herr Poonacha, Direktor für archäologische Gutachten aus Neu Delhi, vertilgt indessen selig eine zweite Portion Sauerfleisch und die nächste Schüssel Bratkartoffeln, die Ariberts Gattin Vera unnachahmlich zu zaubern vermag. Und ich bemerke, wie Frau Kumiko Shimusuma, Kulturgüterexpertin aus Tokio, das Interieur bestaunend, sich allein an der stilistischen Vielfalt der Lampenschirmkollektion nicht satt sehen kann. Ein sicheres Indiz dafür, dass weitere Punkte erfüllt sind: „Vater und Sohn“ ist eindeutig „ein architektonisches Ensemble, das einen bedeutsamen Abschnitt in der menschlichen Geschichte darstellt“. Zweitens ein herausragendes Beispiel einer „überlieferten menschlichen Siedlungsform“, die „für eine bestimmte Kultur typisch ist, insbesondere wenn sie unter dem Druck unaufhaltsamen Wandels vom Untergang bedroht wird“. Und drittens in „erkennbarer Weise mit Ereignissen, mit Ideen oder mit Glaubensbekenntnissen, mit künstlerischen oder literarischen Werken von außergewöhnlicher universeller Bedeutung verknüpft“.

So mancher Doornkaat, so manches Pils ward noch geordert. Gegen drei rief Julia Miranda, Vorsitzende und Direktorin im Ministerio de Ambiente in Bogotá, mit einem charmanten Akzent: „Butter bei die Fische!“ und unterzeichnete die Urkunde. Außerdem würde die nächste Vollversammlung hierher verlegt und „Vater und Sohn“ zum permanenten Sitz der Komission erklärt. Das hatten wir davon.