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Archiv-Artikel

stefan kuzmany über Alltag Bier, Braten, schlechte Gesellschaft

Schlimm: gute Vorsätze brechen. Noch schlimmer: andere mit guten Vorsätzen quälen. Doch eine Lösung ist möglich

Alles auf Anfang: Die Feiertage waren vorüber, alle aus dem Urlaub heimgekehrt, alle Plätzchen verzehrt, alle Weihnachtsbäume entsorgt – 2003 war schon einige Tage alt, konnte jetzt aber in aller Routine starten. Wie jedes Jahr um diese Zeit wollten wir uns zur traditionellen Schafkopfrunde treffen, das heißt: zu viert essen und trinken im „Rattenloch“, unserer Stammkneipe, und dann Karten spielen, bis das Lokal schließt. Um halb sieben rief Hubert an: „Sag bitte den anderen, dass ich verhindert bin.“

„Warum?“

Hubert druckste herum, dann rückte er mit dem Grund heraus: Andreas. Eigentlich habe er Andreas noch nie richtig leiden können. Wir spielten in dieser Runde bald zehn Jahre, und Huberts über die Zeit stetig gewachsene Abneigung gegen Andreas war längst bekannt. Aber dass Hubert deshalb nicht kommen wollte, war neu. „Ich habe mir vorgenommen, dass ich ab diesem Jahr meine Zeit nicht mehr mit Menschen vergeude, über die ich mich nur ärgere“, sagte Hubert. Schafkopfen könne man zur Not doch auch zu dritt.

Thomas und Andreas saßen schon im Rattenloch, als ich kam. Andreas sprach gerade von seinem schönsten Weihnachtsgeschenk, einer „Schuh des Manitu“-DVD. Er referierte seine Lieblingsscherze aus dem Film. Thomas reagierte kaum auf seine Schilderung, was Andreas aber nicht bremste: „Und dann sind sie an den Marterpfahl gefesselt. Und dann sagt der Ranger zum Abahachi: Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden! Hahaha, hahaha! Gesamtsituation!“ Andreas wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Thomas verdrehte die Augen. Zum Glück kam die Bedienung und nahm unsere Bestellung auf.

„Ein großes Bier und ein Schweinebraten“, sagte Thomas.

„Auch“, sagte ich.

„Einen Pfefferminztee“, sagte Andreas.

Stille.

„Ich habe mir vorgenommen, keinen Alkohol mehr zu trinken. Und ich werde fünfzehn Kilo abnehmen“, sagte Andreas. Thomas verdrehte die Augen. „Es gibt da dieses Pulver, ganz toll, da sind alle wichtigen Nährstoffe und Spurenelemente drin. Damit mache ich mir mittags einen Shake mit Vanille- oder Schokogeschmack. Und dann ist der Hunger weg. Täte dir auch ganz gut!“, sagte Andreas. Er langte über den Tisch und drückte mir seinen ausgestreckten Zeigefinger in die Wampe. „Ganz schön was dran!“, sagte Andreas. Thomas verdrehte die Augen.

Die Biere kamen, der Tee auch. Wir stießen an. Andreas kommentierte: „Wusstet ihr eigentlich, dass im Bier weibliche Hormone enthalten sind? Da wachsen euch Titten! Hahahaha!“ Übergangslos begann er, weiter den „Schuh des Manitu“ zu rezitieren: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Uns fehlen die Enzyme! Die Enzyme! Hahahaha!“ Thomas verdrehte die Augen. Zum Glück kam der Schweinebraten.

„Apropos Enzyme: Wusstet ihr eigentlich, was alles im Schweinefutter drin ist? Eigentlich ist es ein Wahnsinn, dass ihr das freiwillig esst! Das ist total ungesund“, sagte Andreas. Er nippte an seinem Pfefferminztee. Thomas und ich bestellten weitere Biere. Andreas sollte sich noch wundern: Wenn es ans Kartenspielen ging, würde sich seine penetrant gute Laune schon noch ändern. Beim Schafkopfen konnte er uns nichts vormachen. Da würde nicht geredet werden, sondern gespielt. Und am Ende würde abgerechnet.

„Jungs, ich habe meiner Freundin zum neuen Jahr versprochen, nicht mehr um Geld zu spielen“, sagte Andreas. „Aber ich habe einen guten Ersatz dabei.“ Mit diesen Worten legte er eine große Packung Schoko-Goldtaler auf den Tisch. Thomas verdrehte die Augen. Zum Glück kamen die neuen Biere.

Wir spielten lustlos vor uns hin. Am Ende lag ich mit acht Schokotalern im Minus, Thomas sogar mit zwölf, gemeinsam hatten wir zwölf Biere und drei Pfefferminztees verzehrt. Andreas sammelte zufrieden seinen Gewinn ein: „Schade, dass ich die Taler nicht essen darf! Habe ich euch schon erzählt, dass ich schon fünf Kilo abgenommen habe? Fünf Kilo, muss man sich mal vorstellen.“ – „Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden“, sagte Thomas. „Hey, das ist doch aus dem ‚Schuh des Manitu‘! Hahaha! Aber jetzt muss ich euch noch etwas sagen“, sagte Andreas, von einem Satz auf den anderen plötzlich sehr ernst geworden.

„Es ist nämlich so: Wir sollten uns nicht mehr sehen. Ihr habt einen unguten Lebenswandel. Nach solchen Abenden ärgere ich mich am nächsten Tag regelmäßig, dass ich überhaupt gekommen bin. Also habe ich mir vorgenommen, dass ich meine Zeit nicht mehr mit euch vergeuden werde.“

Thomas sagte nichts.

Andreas sagte: „Hubert sagt das übrigens auch.“

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