sozialticket : Große Worte, kleine Geste
Es mutet ein wenig grotesk an: Erst schafft der rot-rote Senat das Sozialticket ab, jetzt – nach den für die SPD desaströsen Ergebnissen der Europawahl – streiten sich beide Regierungspartner, wer es wieder einführen darf. Um sich das Soziale auf die Fahne schreiben zu können. Leider hat das Ganze nur ein paar Schönheitsfehler: Der erste ist der Preis des neuen Sozialtickets. Voraussichtlich doppelt so teuer wie sein Vorgänger wird es.
KOMMENTAR VON RICHARD ROTHER
Wichtiger aber ist: Wenn das neue Sozialticket eingeführt wird – den Betroffenen ist der Streit zwischen Senat und BVG über die Finanzierung ohnehin völlig egal –, wird auch etwas anderes eingeführt: das so genannte Arbeitslosengeld II, mit dem von 2005 an die Arbeitslosenhilfe abgeschafft wird. Dies hat zwar nicht der Berliner Senat, der sich auf Druck der PDS im Bundesrat der Stimme enthielt, zu verantworten, sondern die rot-grüne Bundesregierung.
Trotzdem wird der Senat – insbesondere die SPD – den Unmut über diese massiven Einschnitte in das Leben zehntausender Berliner spüren. (Ärgerlich ist, dass sich die Grünen dabei immer fein raushalten können.) Denn wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, wird de facto zum Sozialhilfefall: Er bekommt weniger Geld, sein Vermögen und das Einkommen des Partners werden rigide angerechnet. Bei einer Arbeitslosenquote von fast 20 Prozent bedeutet dies die weitere Verarmung breiter Bevölkerungsschichten – mit negativen Folgen für das lokale Gewerbe.
Wer von sozialer Gerechtigkeit redet, müsste – Landesebene hin, Bundesebene her – solche Einschnitte durch Hartz IV zu verhindern suchen. Die Berliner SPD tut das Gegenteil: Es gebe keine Alternative zur Agenda 2010, so Wowereit und Müller gestern. Das Sozialticket ist somit bestenfalls eine kleine Geste.