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Fraglich bleibt leider, ob nicht zumindest selbstironisch gemeint ist, dass einer der Hauptacts auf dem am Wochenende Premiere feiernden Dockville-Festival unter dem Namen The Whitest Boy Alive auftritt. Ohne hier die Political-Correctness-Fahne hochhalten zu wollen, verspricht das Line-up des kulturkritisch daherkommenden Festivals auf der Elbinsel nämlich genau das: Musik von weißen jungen und jung gebliebenen Männern. Und für wen? To My boy oder Herrenmagazin beispielsweise unterstreichen den Verdacht impliziten Unter-Sich-Bleiben-Wollens. Dass in einer einzigen der insgesamt 22 auftretenden Bands, Good Heart Boutique, auch Musikerinnen spielen, kann dann nicht mal als Quote herhalten. Wer möchte, darf jedenfalls an zwei Abenden im neuen Szenestadtteil Wilhelmsburg Wirsindwiederwer-Pop à la Inga Humpe – nein, 2raumwohnung sind keine Band! – oder gar Thees Uhlmann als Soloprojekt ertragen. Beliebt ist zurzeit ja auch die Verknüpfung von Popmusik und Kunst und hier haben die beiden „Kunstbeauftragten“ der Festivalorganisation es geschafft, dass Hamburgs bestes Pferd im Stall, Daniel Richter (sieht besser aus als Jonathan Meese), ach so sozialkritisch eine schrottige Elbphilharmonie in den Wilhelmsburger Sand gesetzt hat. Dass dieses inhaltlich vom Fachbereich Kulturwissenschaften der Uni Lüneburg konzipierte Festival den Anspruch erhebt, diskursiv kontextualisiert zu sein und behauptet, grenzenlose Kreativität freisetzen zu wollen, lässt eigentlich nur erwarten, dass dort nächstes Jahr Herbert Grönemeyer mit auf der Bühne steht.
Das britische Label „Warp“ ist nicht nur der Heimathafen der Minimal-Elektronik-Helden von „Autechre“, sondern auch des Londoner Künstlers John Callaghan. Wie eine Anekdote uns berichtet, bescherte dieser dem Label im Jahre 2000 mit der Single „You’ve got your memories, I’ve got my dreams“ den Worst-Seller. Anzunehmen ist aber auch, dass es vor allem seine Live-Auftritte sind, in denen er mit ständig wechselnder Kostümierung und einer Mischung aus Sprachsamples und chaotisch arrangierten Soundfragmenten um sich wirft, die ihn zu einem der sympathischeren Techno-Acts mit Cabaret-Allüren avancieren lässt.
Die neue Platte „Newest Erections“ von The Locust kann durchaus als beginnendes Spätwerk der im Genre Art-Punk oder Destruct-Noise anzusiedelnden Kalifornier gelten. Oder bringt der Wechsel zum Major „Epitaph“ mit der zweiten dortigen Veröffentlichung nun doch den Sell-out? Den Zynismus auf die Spitze treiben und mit ihm die gesamte US-amerikanische Gesellschaftskritik – damit fällt es schwer, ihnen wirklich etwas übel zu nehmen. Trotzdem fallen Songlängen von über 3 Minuten und verständliche Chorphrasen in den Vocals völlig aus dem Rahmen dessen, was „The Locust“ in den 90er Jahren aus der kalifornischen Emo-Hardcore-Szene hervorgespien hatte. Es handelte sich um schnelle und kurze Noise-Ausbrüche. Gerade wegen dieser Kürze der Heftigkeit wurden „The Locust“ zu Avantgardisten innerhalb der US-amerikanischen Independent-Szene ernannt. Die Assoziation der Band als Kunstprodukt tritt dabei schnell durch die ausgefeilte Kostümierung und Bühneninszenierung zutage. Zu beobachten sind die vier Insektoiden am Mittwochabend im Hafenklang. KERSTIN SCHROEDINGER Dockville-Festival u. a. mit Daniel Richter, Herrenmagazin, The Whitest Boy Alive, To My boy: Fr, 17. 8., 15 Uhr + Sa, 18. 8., 12 Uhr, Reiherstieg/Wilhelmsburg John Callaghan: Fr, 17. 8., 24 Uhr, Uebel & Gefährlich The Locust: Mi, 22. 8., 21 Uhr, Hafenklang-Exil