senatorinnenwahl : Schweigen ist gar nicht Gold
Nicht vor der Wahl, kein Wörtchen über Wochen. Wieso diese Scheu bei Ingeborg Junge-Reyer? Hat sie Angst, mit einer unbedachten Äußerung heute eine Niederlage im Abgeordnetenhaus zu riskieren? Dann muss es ja Gravierendes sein, was die designierte Senatorin für Stadtentwicklung vorhat. Ansonsten gäbe es ja nichts zu verschweigen.
KOMMENTAR VON STEFAN ALBERTI
Das Schweigen mag aus ihrer Perspektive verständlich sein – bei der Wahl geht es für sie um viel Macht und einige zehntausend Euro mehr an Verdienst jährlich. Den Geboten von mehr Demokratie und Transparenz aber, die der rot-rote Senat so hochhalten wollte, entspricht das nicht. Denn gerade wenn Junge-Reyer anderes, Neues vorhat, hätte sie Klartext reden müssen. Die auf 30 Minuten angesetzte Parlamentsaussprache direkt vor ihrer Wahl reicht dafür nicht. Dann kann kein Bürger mehr seinen Abgeordneten anrufen und ihm sagen, was er von Junge-Reyers Plänen hält und warum sie vielleicht nicht zu wählen ist.
Und was eine „unbedachte Äußerung“ angeht: Falls Junge-Reyer so etwas nach 15 Jahren als Kreuzberger Stadträtin, Vizebürgermeisterin und Staatssekretärin passiert, wäre sie auch nicht clever genug für den Senatsposten. Denn eins fällt derzeit unter den Tisch: Das Ressort, das sie leiten soll, ist das größte der gesamten Senatsverwaltung. Vorgänger Peter Strieder hieß wegen seiner Machtfülle Supersenator.
All das spricht zwingend gegen Junge-Reyers Schweigen vor der Wahl. Ein gutes Gegenbeispiel bieten die Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten, Horst Köhler und Gesine Schwan. Die sind auch noch nicht gewählt, erzählen aber landauf, landab von ihren Ideen und Vorstellungen. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass Junge-Reyer zumindest als gewählte Senatorin sich daran ein Beispiel nehmen wird.