schurians runde welten : Ich, der Ghostwriter
“Es sind meine Gedanken, die ich nieder geschrieben habe, über mich, meinen Beruf und das Leben“ (Oliver Kahn, Buchautor)
Ein Mann, ein Wort. Gut so. Kahn deckt mich, ich bin sein Ghostwriter. Mitte Februar kam er zu mir, verzweifelt, halb blind, mit ein paar Diktierkassetten. Wir hörten sie uns an, aufgenommen in seinem Auto bei Tempo 230: Fahrgeräusche, Schimpfworte – nicht zu gebrauchen. Kahn schwitzte: „Ich muss übermorgen 177 Seiten abgeben, hörst du, übermorgen!“ Ich zögerte, machte Kahn einen Gin Fizz und sagte: „Nur unter einer Bedingung, Olli. Sag, du hättest es alleine geschafft, und lass mich mal machen.“
Meine Maulsperre kommt vom Kauen, Wiederkauen. Kahns Motto: Wegbeißen, durchbeißen, aufessen. Habe mich nämlich mental in den Nationalkeeper verwandelt. Und das heißt mahlen, mahlen, die halbe Nacht, den ganzen Tag, bis die Zahnhälse einen stechenden Schmerz melden. Das war der Trick. Im Schmerz werde ich zum Kahn: Ich leide, ich lebe, ich kämpfe. Ich, die Nummer Eins.
3.4. Schalke – Hamburg
Sehe den Fußball seitdem anders. Jeder ein Gegner, jedes Spiel Überlebenskampf. Zum Beispiel Volkan Ünlü – Mitleid mit dem Ersatz-Torwart der Schalker gibt‘s nicht. Die sechs in Bochum. Da muss er durch. Das sind diese Momente, Adrenalin pur, im fremden Stadion das Nervenflattern bekommen. Neunzig Minuten werden unendlich und da ist kein Platz, sich zu verkriechen. Früher hatte ich eine Schippe am Tornetz stehen. Früher gab‘s noch keine Rasenheizung, da konnte man sich auch mal einbuddeln. Am Samstag in der Arena sind 100 Kameras auf dich gerichtet, Ünlü! Du darfst dir nach Bochum keinen Fehler erlauben. Mach‘s wie ich und schlag die Hamburger ganz allein. Oder werde Schuhverkäufer.
4.4 Dortmund – Bochum
Matthias Sammer hat es auch begriffen. „Ich war zu gut zu Marcio“, hat er gesagt. Er hat Recht. Ich in Dortmund, ich hätte Marcio Amoroso schon längst zermalmt, mit den eigenen Zähnen. Aber er war ja Dortmunder, ein Borusse, da freut einen das natürlich. Auch so Sätze von Sammer: „Amoroso hat mit mir als Nicht-Brasilianer den einzigen Titel seiner Karriere geholt.“ Klingt gut, auch wenn ich es nicht verstanden habe. Ist Amoroso jetzt nicht mal mehr Brasilianer? Oder sieht sich Sammer nicht mehr als Deutscher, sondern als „Nicht-Brasilianer“?
Nicht-Brasilianer, finde ich gut. Bin auch ein Nicht-Brasilianer. Wir alle sind Nicht-Brasilianer. Das macht uns so stark. Auch Bochum. Das ist die Mannschaft des Trends, habe eine Hundeangst vor dem Haufen. Spielen wirklich nicht-brasilianisch, stabil, langweilig. Gewinnen die Spiele wie die deutsche Elf aus Standardsituationen, ohne zu glänzen. Und in Nicht-Brasilien brauchen wir wieder Männer, die eine Scheiß-Angst haben sich zu blamieren. Das erst machte einen zur Nummer Eins.
CHRISTOPH SCHURIAN