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schlaglochEine Frage der Tonalität

Wie gräbt man der verrückten Rechten am besten das Wasser ab?Die österreichische Regierung versucht es mit einem neuen Weg

Seit 1992 schreibe ich für die taz, das sind 33 Jahre. Das ist die gleiche Zeitspanne wie von der Gründung der Weimarer Republik 1918 bis zum Jahr 1951, eine Ewigkeit. Anfangs wurde ich fast wöchentlich gefragt, ob ich nicht etwas über „den Haider“ schreiben könnte. Der hänge mir doch irgendwann aus den Ohren heraus. Mit dem rechten Populismus und dem Aufstieg des Extremismus sind wir Österreicher besonders vertraut. Auch heute werde ich häufig zu Vorträgen zu diesem Thema eingeladen, mein bewährter Eingangssatz lautet: „Wir Österreicher sind Experten für den rechten Extremismus, aber leider sind wir keine Fachleute für die Frage, wie man ihn wieder los wird.“ Da lachen meist alle. Das ist gut für die Stimmung. Üblicherweise sage ich das in meiner wienerischen Sprachfärbung, das hilft, dann hält man uns Österreicher für etwas schlawinerhaft, schlau, amüsant, aber auch für ein bisschen vertrottelt.

Das passt gut zu sonstigen Vorannahmen kultureller Natur: Schließlich handelt ein Gutteil der Filme und der Literatur österreichischer Art davon, dass das Land vornehmlich von Idioten, Fieslingen und boshaften Opportunisten bewohnt wird. Kurzum: Den Eindruck, dass in Österreich irgendetwas vorbildlich läuft, gar etwas, das zur Nachahmung taugt, würde kaum wer erwecken wollen. Zur Beispielhaftigkeit bringt es Österreich allenfalls als abschreckendes Exempel.

Natürlich haben wir an Eigentümlichkeit arg eingebüßt. Der Aufstieg der verrückten Rechten ist heute ein internationales Phänomen. Die Empörungsbewirtschaftung der Krawallparteien zieht überall erst einen relevanten und später einen sehr gewichtigen Anteil des Elektorats auf seine Seite, und da und dort stellt die verrückte Rechte die Regierung. Die Propaganda ist überall die gleiche: Alle Probleme, die Gesellschaften haben mögen, werden ins Irrwitzige übertrieben. Nationen werden als kollabierend dargestellt, ein Wokismus, der das Alltagsleben in der Realität kaum berührt, als linker Totalitarismus phantasiert. Normale, lebenswerte Städte geraten in der absurden Propaganda zum Schreckensbild von Straßenschluchten des Horrors, in denen Mord und Totschlag regieren. Eine „crazy right“, eine „verrückte Rechte“, trommelt ihre wahnhaften Phantasien in die Welt, bis die Diskurse über die Wirklichkeit mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben.

Robert Misik ist Journalist, Sachbuchautor, Theatermacher und taz-Kolumnist. Jüngste Veröffentlichungen: „Das große Beginner­gefühl: Moderne, Zeitgeist, Revolution“, Suhrkamp Verlag, 2022.

Schlagloch-Vorschau:

21. 5.

Georg Seeßlen

28. 5.

Charlotte Wiedemann

4. 6.

Ilija Trojanow

11. 6.

Gilda Sahebi

18. 6.

Georg Diez

Diese verrückte Rechte lebt davon, dass die Temperaturregler der Debatten immer höher gedreht werden. Sie lebt aber auch davon, dass andere dabei mitmachen. Der Konservatismus etwa, der glaubt, er müsse ein wenig dabei mittun, um den verrückten Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Was für ein bekannter Unfug! Auch auf der Linken gibt es verschiedene plausible Empfehlungen für Rezepturen. Eine lautet, dass die traditionelle Linke zu mittig wurde, weshalb sie vom traditionellen Konservatismus ununterscheidbar wurde. Was dann die verrückte Rechte als einzige starke Alternative erscheinen lässt, was halb richtig und halb falsch ist.

In Österreich haben wir seit einigen Monaten eine neue Regierung aus ÖVP, SPÖ und Neos. Deren Zustandekommen war etwas holprig, zwischenzeitlich sah es sogar so aus, als würde Herbert Kickl von der FPÖ, quasi der Björn Höcke von Österreich, Bundeskanzler werden und die konservative Volkspartei ihn an die Macht bringen. Es war ein heilsamer Schock für alle Beteiligten, sogar für die ÖVP, die feststellte, dass die Rechtsextremen es ernst meinen mit dem Rechts­extremsein. Vorher waren sie dem Fehler erlegen, den viele im Zusammenhang mit Österreichern machen, nämlich anzunehmen, dass die eh alles nur Schmähbrüder sind. Und dass sie das, was sie so daherreden, doch nur der Show wegen sagen.

Dieses Erstarren, dieses Erschrecken war heilsam. Die Koalitionäre unserer Dreierkoalition kultivieren jetzt einen Stil des „ruhig und besonnen“, der Überbietungswettbewerb um die krassesten Vorschläge und die bizarrsten Schlagzeilen ist momentan ausgesetzt. Weil die verrückte Rechte davon lebt, dass der Temperaturregler der Diskurse möglichst ins Übersteuern hochgedreht wird, versucht man es einfach mit dem Gegenprogramm: einer ostentativen „zentristischen Vernünftigkeit“ und dem Runterregeln der Überspanntheit.

Jetzt versucht man es mit dem Gegenprogramm: einer ostentativen zentristischen Vernünftigkeit

Natürlich ist auch unsere Regierung – wie die deutsche Merz-Klingbeil-Koalition – in gewissem Sinne eine Notregierung. Aber der heilsame Schock hat auch bewirkt, dass es nach meinem Empfinden und Beobachten schon ein Bewusstsein (oder auch nur ein intuitives Gespür) dafür gibt, dass man als Koalition von Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien nicht gegeneinander regieren, sondern sichtbar an einem Strang ziehen muss. Dazu gehört eine Rhetorik der Vernünftigkeit, die die Ambiguitäten der eigenen Regierungspraxis öffentlich benennt und vielleicht auch sagt, dass man nicht alle Probleme gleich wegzaubern kann, aber fünf, sechs oder zehn Maßnahmen setzt, die sie zu bewältigen helfen, wovon vielleicht drei Maßnahmen leider keine völlig ungeteilte Freude machen werden. Der Finanzminister, der krass sparen muss und den seine Gegner als extremen Linken diffamieren wollten, spricht in dieser ruhigen Weise – und siehe da, er ist plötzlich der populärste Regierungspolitiker. Der ÖVP-Bundeskanzler wiederum, gestern noch ein boshaft-polemischer Partei-Generalsekretär, hat einen Rollenwechsel Richtung humorvoller Besonnenheit hingelegt, der selbst seine eingefleischten linken Gegner perplex macht. Noch gibt es keine belastbaren Beweise, dass das ein Erfolg wird und sich damit das Klima der Gereiztheit, das den verrückten Rechten lange geholfen hat, jetzt beruhigt. Aber unmöglich ist es nicht. Es fühlt sich jedenfalls richtig an. Manchmal frage ich mich, ob die deutschen Koalitionäre ihre Lektion ausreichend gelernt haben. Vielleicht ist Österreich einmal Vorbild und nicht nur abschreckendes Beispiel.

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