saddam hussein : Hinrichtung als Kulturmerkmal
Kaum hat die Gefangennahme Saddam Husseins bewiesen, dass der ehemalige irakische Präsident noch am Leben ist, schon geht die Diskussion darüber los, ob es legitim sein kann, ihn umzubringen. Mitglieder des irakischen Regierungsrates sprechen sich offen für die Todesstrafe aus. Von der Bush-Administration kommt erwartbar wenig Widerstand. Und aus London heißt es, man fände die Todesstrafe nicht gut, könnte aber verstehen, wenn die Iraker Saddam hinrichten wollten.
KOMMENTARVON BERND PICKERT
Alle Argumente scheinen für die Todesstrafe zu sprechen: Wie könnte es gerecht sein, dass derjenige weiterleben darf, der den Tod so vieler Menschen zu verantworten hat? Und wer soll eigentlich die hohen Kosten für den Sicherheitsaufwand eines vermutlich lebenslangen Gefängnisaufenthaltes tragen?
Aber die Anwendung der Todesstrafe verträgt keine praktisch-taktische Diskussion. Es geht um ein Prinzip an der Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei. Wer auch immer warum auch immer einen anderen wehrlos gewordenen Menschen umbringt, setzt sich ins Unrecht. Wer vorgibt, es gäbe ein Recht zu töten, und sei es im Namen der Justiz, legt für jeden Mörder ein Stück Legitimität bereit.
Im Irak hat die Hinrichtung von Gefangenen stets sowohl zur Rechts- wie auch zur politischen Kultur gehört. Vielen Irakern ist schwer verständlich, dass man ausgerechnet jetzt, ausgerechnet bei Saddam, damit aufhören sollte. Zumal in den Nürnberger Prozessen, Prototyp aller Diktatorenverfahren, mehrere Todesurteile verhängt wurden.
Die meisten ehemaligen Diktatoren seither wurden entweder gar nicht belangt, flüchteten unbehelligt ins Exil oder wurden nach kurzen Haftstrafen begnadigt. Andere wurden hingerichtet, meist sogar ohne Prozess. Sühne ohne Todesstrafe scheint bislang undenkbar: Einziges Vorbild ist der Milošević-Prozess in Den Haag, mit derzeit noch ungewissem Ausgang.
Und trotzdem: Menschenrechtsorganisationen und Vereinte Nationen tun recht daran, auch im Falle Saddam Husseins die Abkehr von der Todesstrafe zu fordern. Ein einsitzender Saddam ist kein Märtyrer, sondern ein verurteilter Verbrecher, und die Abschaffung der Todesstrafe im Irak würde einen deutlichen Bruch mit der blutigen Vergangenheit der Gesellschaft dokumentieren. Und darum – um die Grundlage einer neuen Kultur des Zusammenlebens – geht es bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Diktatur.