robin alexander über Schicksal : Das Bienchen-Schema
Wer Möbel schleppt, bekommt ein Bierchen? Aber nicht doch!
„Da haben wir uns wohl alle ein extradickes Bienchen verdient!“ Habe ich das gerade gesagt? Tatsächlich. Der Umzug eines Freundes aus Westdeutschland nach Berlin lag hinter uns. In die schulterklopfende Schar rief ich spontan, wir hätten uns alle ein extradickes Bienchen verdient. Die Verschwitzten blickten mich verwundert an. Dann fragte einer: „Meinst du Bienchen oder Bierchen?“ Bienchen. Kam direkt aus meinem Unterbewusstsein. Warum fordere ich „extradicke Bienchen“ für schwitzende Männer? Wer an dieser Stelle an sexistische Tiermetaphorik denkt, hat sich …
1. gerade selbst enttarnt und ist
2. nicht aus dem Osten.
Im Osten werden nämlich laufend Bienchen vergeben. Beim Kochen sagt meine Freundin anerkennend, „da hast du dir aber ein Bienchen verdient“, wenn ich vorher alleine das Gemüse geputzt habe. Mein Redakteur wird „Bienchen für den Autor!“ antworten, falls ich diesen Text pünktlich maile. Ein Bienchen ist ein Dankeschön ohne materiellen Aspekt. Sie merken schon: Das Bienchen ist genuin sozialistisch. Ein warmes Wort, für das man sich nichts kaufen kann.
Neulich, als ich von 3sat-„Kulturzeit“ zum Theaterkanal herüber zappte, blieb ich zufällig bei „Wa(h)re Liebe“ hängen. Dort testete gerade ein junges Pärchen Swingerclubs im Erzgebirge. Während der Tester die Testerin von hinten penetrierte, suchte diese nach Flecken auf der Matratze unter ihr. Sie fand keine und lobte kurz vor dem Orgasmus in breitestem Sächsisch: „Supersauber. Hier hat sich jemand ein Bienchen verdient.“
Kein Zweifel: Das Bienchen hat sich tief im Unterbewusstsein der Ostdeutschen eingenistet. Kein Wunder: Das Bienchen ist das kollektive DDR-Kindererlebnis schlechthin. Es war nämlich die erste Anerkennung, die der sozialistische Staat seinen ganz kleinen Bürgern zeigte. Oder entzog. Bienchen wurden in den ersten Schulklassen für Ordnung, Fleiß, Betragen und Mitarbeit vergeben. Wer Altstoffe sammelte, ein Stofftier für Nicaragua hergab oder Spielzeug spendete für Polen, bekam Bienchen. Bienchen gab es in jeder Klasse an jeder Schule an jedem Ort in der DDR. Wie selbstverständlich verteilten die Kinder Anerkennung, indem sie einander den Daumen wie einen Stempel auf die Schulter drückten und kurz „Bienchen“ sagten.
So frühe Prägung wird man nicht leicht los. Eine Bekannte klagt – ganz ernst gemeint –, sie litte unter dem „typischen Bienchenschema“. In der Schule habe sie bei kurzfristiger Abwesenheit der Lehrerin am Pult sitzen und Mitschüler, die nicht still arbeiteten, aufschreiben müssen. Für das Petzen bekam sie ein Extrabienchen. Noch heute sei sie nicht in der Lage, ihrer tyrannischen Chefin Paroli zu bieten, weil sie emotional zu sehr auf Anerkennung von oben fixiert sei.
In den Anfangsjahren der DDR zeichneten die Lehrerinnen noch kleine Bienchen, später gab es dann Bienchenstempel. Die Darstellung blieb immer gleich: eine freundliche, stilisierte Biene. Nur ein klitzekleiner, harmloser Stachel ist zu erkennen. Das Bienchen sieht aus, wie sein Diminutivname klingt. „Die Niedlichkeit und die Revolution schließen sich nicht aus. Sie bedingen einander“, sagte Che Guevara. Ches ostdeutsche Freundin, Tamara Bunke, ritzte ihm wahrscheinlich Bienchen in die Kalaschnikow – für jeden getöteten Klassenfeind eins.
Das DDR-Bienchen ist übrigens auf keinen Fall zu verwechseln mit der Biene Maja aus dem Trickfilm. Maja gehört zur BRD. Sie ist ein sympathisches, cleveres Mädchen, das Probleme löst und von einem nutzlosen Jungen namens Willi begleitet wird. Ungefähr das Geschlechtermodell also, mit dem Kinder heute sozialisiert werden.
In der DDR war das noch anders. Das Bienchen stammt nicht von der „flotten Biene“ oder der „kessen Biene“, sondern von der „emsigen Biene“, die sprichwörtlich fleißig ist – bienenfleißig. Die sammelt gemeinsam mit vielen Genossen Honig, baut Waben, die alle gleich aussehen, und sorgt sich um das Kollektiv. Das (!) Bienchen war geschlechtslos und taugte als Identifikationsobjekt für alle Pioniere.
Gar nicht geschlechtslos ist allerdings die Bienenkönigin. Die Chefin im Bienenstaat ist definitiv weiblich. Das scheint in der sozialistischen Früherziehung ähnlich gewesen zu sein. Oder hatte irgendjemand in der DDR einen Grundschullehrer? Haben Männer je Bienchen vergeben? Die Bienchen wurden in ein kleines blaues Buch eingetragen: das „Mutti-Heft“! Und wer hatte sich das alles ausgedacht? Etwa Honecker? Ja, aber nicht Erich, sondern Margot, die Bildungsministerin. Die DDR war ein unmenschlicher Riesenknast, und es ist gut, dass sie weg ist. Aber mit Mutti und Margot war sie auch ein Sozialismus mit menschlichem, weil weiblichem Antlitz. Eine Erziehungsdiktatur, die auf Bienchen gründete statt auf den Gulag. Frau Honecker war zumindest langfristig wesentlich einflussreicher als das komplette männliche Politbüro: Denn während Mauer, Stasi und Kombinate vergessen werden, glauben jetzt schon die ersten Wessis, sie hätten sich ein Bienchen verdient. Es war eben nicht alles schlecht im Arbeiter- und Bienchenstaat.
Bienchen für den Autor?kolumne@taz.de