5. - 9. Mai + 8. - 12. September 2026
Chemnitz und Erzgebirge
mit Michael Bartsch, taz-Korrespondent in Sachsen
2025 hat Chemnitz als „Kulturhauptstadt Europas“ sein Negativimage verändern können. Ziel war, an die über 500-jährige Tradition der einst starken Bergbau- und Industrieregion zu erinnern und eine objektivere Wahrnehmung der Potenziale der Stadt und der Stimmung unter ihren Bewohnern zu ermöglichen.
Das sind auch die Themen unserer taz-Reise dieses Jahr: Wir beschäftigen uns mit der sozio-ökonomischen Dynamik seit der Wende, treffen zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich gegen rechte Politik und Vereine engagieren, und verfolgen Spuren lokaler Industrietraditionen. Drei Museen sächsischer Industriekultur gehören zum Programm: das Industriemuseum Chemnitz, die ehem. Textilfabrik Pfau in Crimmitschau und das ehemalige Zinn-Bergwerk Ehrenfriedersdorf (Erzgebirge) – mit 4 Übernachtungen im B&B Hotel Chemnitz.
Themen der Reise
Zu den zivilgesellschaftlichen Begegnungen gehören das Treffen mit den "Buntmacher*innen", einer Initiative, die sich nach den ausländerfeindlichen Krawallen 2018 für ein weltoffenes Chemnitz gegründet hatte, sowie ein Treffen mit der Initiative "Bordsteinlobby", die sich für eine kreative Gestaltung der Stadtkultur engagiert und uns beantworten kann, ob die Kulturhauptstadt-Aktivitäten nachhaltige Veränderungen bewirken.
Ein Treffen mit einem Erzgebirge-Netzwerk zur Demokratieförderung vermittelt Ein-blicke in die für Sekten und Nationalisten anfällige Erzgebirgsmentalität und in das mühsame Engagement von Demokratie-Initiativen dort.
Die sozio-ökonomische Dynamik der Region seit der Wende ist in verschiedenen Facetten ein übergreifendes Thema dieser Reise: Im 1990 wiedergegründeten Freistaat hingen die erlösungsbedürftigen Sachsen an den Lippen ihres zurückgekehrten „Geenichs“ Kurt Biedenkopf. Der erste Ministerpräsident nach der Wende beschwor die ruhmreiche Vergangenheit Sachsens und die übermenschlichen Fähigkeiten seiner Einwohner. Chemnitz beispielsweise wurde ausgangs des 19. Jahrhunderts als „Sächsisches Manchester“ bezeichnet. Das Pro-Kopf-Einkommen soll das höchste im Kaiserreich gewesen sein. Die Vision einer wieder auferstehenden Stadt erstand.
Der von den Deutschen angezettelte zweite Weltkrieg hatte das Stadtbild zerstört, vor allem der alliierte Luftangriff vom 5. März 1945 nahm Chemnitz das Zentrum und kostete 2 100 Menschen das Leben. Sozialistische Kasernenbauten in der zu DDR-Zeiten Karl-Marx-Stadt genannten Stadt vermochten keine Harmonie mehr herzustellen. Mit der radikalen Einführung der kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft nach der Währungsunion 1990 verlor das wieder zurück benannte Chemnitz dann auch noch die letzten Stützen seiner einst prägenden Industrie.
Aktivitäten
Vermutlich tat sich auch deshalb die damals allein regierende CDU so schwer, die erste sächsische Landesausstellung der Industriekultur zu widmen, wie es SPD und PDS forderten. Man zog sich 1998 lieber frömmelnd ins sorbenländische Kloster Marienstern zurück. Es dauerte bis ins Jahr 2020, ehe die vierte Landesausstellung unter dem reißerischen Titel „Boom“ endlich 500 Jahre sächsischen Industriekultur wieder entdeckte.
Ihr Zentrum lag in Zwickau, sechs dezentrale Schauplatzausstellungen zeigten einen repräsentativen Querschnitt. Keine reine Geisterbeschwörung ingenieurtechnischer Großtaten vom ersten „Berggeschrey“ im Silberbergbau im Jahr 1168 an, sondern eine vorbildliche Verknüpfung industriellen Aufschwungs und Niedergangs mit seinen kulturprägenden Auswirkungen.
Auch die taz-Reise folgt diesem Grundgedanken. Wir sehen die Spuren und erfahren von den Schwankungen industrieller und handwerklicher Produktion und von der Rolle des damit verbundenen materiellen Wohlstands im Bewusstsein der Einwohner.
Und wir beobachten die Wechselwirkung mit regionaler Volkskultur und Kunst, die Entstehung von Mentalitäten. Wenn man so will ein Exkurs in die ebenso gelobte wie belächelte sächsische Identität oder in Identitätskonstruktionen, die oft der Kompensation wirtschaftlicher Schwierigkeiten dienten.
Eine Stadt wie Chemnitz, aus nördlicher Richtung betrachtet das Tor zum Westerzgebirge, spielt dabei genauso wie diese Mittelgebirgs-„Pultscholle“ eine maßgebliche Rolle. Der jahrhundertelang in kleinen Variationen populäre Spruch „Was in Chemnitz erarbeitet wird, wird in Leipzig gehandelt und in Dresden verprasst“ belegt die Abhängigkeit nicht nur des Dresdner Fürstenhofes von den Quellen des Reichtums. Er kann auch als Indiz für den hartnäckigen, wenn auch durch die Geschichte strapazierten Stolz der Erzgebirger gelten.
Beim genauen Hinhören werden wir dabei auf typische kollektive Traumata stoßen, wie sie andere Regionen zwischen Aufschwung und Depression auch kennen. Bei den Sachsen ist der Widerspruch zwischen hohem Selbstanspruch, ja dem Nimbus eines auserwählten Volkes, und den vielen militärischen Niederlagen und Gebietsverlusten bei starken Sympathien für heilsversprechende autoritär-diktatorische Systeme besonders ausgeprägt.
Die Landesausstellung 2020 hatte den Bergaltar in der Annenkirche Annaberg zum Leitmotiv erkoren. Die größte spätgotische Hallenkirche Sachsens kann als „Leitkirche des Erzgebirges“ gelten. Die alte sächsische Spruchweisheit „Alles kommt vom Berge her!“ findet sich hier in den Altarmotiven des Sakralraumes gespiegelt. Die realistische Darstellung der Bergknappen und ihres Werkzeugs weist auf den Anbruch einer industriellen Epoche hin, auf ein neues Verhältnis zwischen Wissenschaft, Ingenieurskunst und Glauben.
Der erste Reisetag führt deshalb von Chemnitz auf der B95 nach Süden Richtung Annaberg-Buchholz. Die Erlebnisführung durch das Besucherbergwerk Ehrenfriedersdorf soll einen Eindruck von den harten Bedingungen unter Tage bei der Zinnerzgewinnung vermitteln. Die Bezeichnung „Erzgebirge“ sagt es schon: Vom Freiberger Raum an bis hinauf in diese Hochlagen dominierte der Erzabbau, angefangen vom kostbaren Silber bis zum Uranerz für sowjetische Atomkraftwerke und Atombomben. Die Attribute des Bergbaus transformierten die Bewohner in eine mittlerweile weltweit verbreitete Weihnachtskultur, also Schwibbögen, Pyramiden, Räuchermänner. Längst auch ein Erwerbszweig im „Weihnachtsland“.
In komprimierter Form kann man das anschließend bei einem Rundgang durch die heimliche Erzgebirgshauptstadt Annaberg-Buchholz erfahren. Im Erzgebirgsmuseum leuchtet im Wortsinn die ebenso anheimelnde wie abgeschottete Mentalität der Bergbewohner auf.
Einen Überblick über die technischen Grundlagen des industriellen Aufschwungs der Region erhalten wir in Chemnitz am zentralen Standort des Verbundes Sächsisches Industriemuseum, einer alten Gießerei mit kunstvoller Backstein-Architektur. Ein anderes Highlight der Industriegeschichte ist der kilometerweit ausgedehnte Rangierbahnhof Chemnitz-Hilbersdorf. Nicht nur Eisenbahnfreunden dürfte das Herz hier höher schlagen. Leckerbissen sind historische Wagen und Triebzüge wie der legendäre „Vindobona“.
Vom gemischten Erscheinungsbild der Stadt kann man bei einem Spaziergang durch den Stadtteil Kaßberg etwas erfühlen: Gründerzeit, Jugendstil, DDR-Platte und das Nazi- und Stasigefängnis mit der kürzlich erst eröffneten Gedenkstätte finden sich hier nebeneinander.
Ein Tagesausflug führt uns zu zwei anderen markanten Industriestandorten der Region, nach Zwickau und nach Crimmitschau. In Zwickau, wo jahrzehntelang der legendäre DDR-Kleinwagen „Trabant“ gebaut wurde, bietet das nicht minder legendäre Audi-Horch-Museum einen Einblick in die Automobil- Geschichte. In Crimmitschau besuchen wir die ehemalige Weberei einer riesigen Textilfabrik. Die Fabrikhallen der Gebrüder Pfau sind noch völlig intakt, auch wenn die Produktion 1990 eingestellt – und ein Museumskonzept entwickelt wurde, das einen guten Einblick in die ehemalige Produktion ermöglicht.
Beginn und Ende der Reise:
Wir treffen uns am Dienstag, den 5. Mai (bzw. 8. Sept.), um 17 Uhr im B&B Hotel im Zentrum von Chemnitz
Ende der Reise: Samstag, den 9. Mai (bzw. 12. Sept.), gegen 15 Uhr am Hotel in Chemnitz.
Reiseleiter
Michael Bartsch, Ost-Korrespondent der taz für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von 2001 bis 2021, als er altersbedingt in die zweite Reihe zurückgetreten ist, aber weiterhin aktiv bleibt.
Geboren 1953 in Meiningen, aufgewachsen in Erfurt, Studium Informationstechnik TU Dresden, ab 1975 Wartungsingenieur Rechenzentrum. Sechs Kinder, nebenberuflich Musiker. Seit 1988 schriftstellerisch tätig.
Ende 1989 über die Bürgerbewegung Wechsel in den Journalistenberuf, ab 1993 freiberuflich für Print und Hörfunk; Politik und Kultur, überregionale Theaterkritik.
Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. „Gedichtband „Die Krähen sammeln sich“ (2000), „System Biedenkopf“ (2002), „Dresden – Kinderstadtführer“ (2015), auch literarische Anthologien, satirisch-blasphemische Weihnachtsgeschichten, zuletzt 2020: „30 Jahre und ein bisschen Waise“ (literarische Texte aus 30 Jahren Einheitsdeutschland).
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