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Archiv-Artikel

regierungserklärung Kollektive Autosuggestion

Was Klaus Wowereit gestern im Abgeordnetenhaus abgeliefert hat, verdient es nicht, „Regierungserklärung“ genannt zu werden. Eine solche soll, so will es die Definition, erklären, wie der Chef die Stadt gestalten will. Sie muss Ideen enthalten, Konzepte, ein Hauch von Aufbruchstimmung wäre nach dem knallharten Urteil des Verfassungsgerichts auch nicht verkehrt. Wowereit tat das Gegenteil. Er argumentierte mit seiner Richterkritik rückwärtsgewandt, drückte mit peinlichen historischen Vergleichen auf die Tränendrüse, entwarf ein realitätsfernes „Wir gegen den Rest der Welt“-Szenario und verpackte in vielen Sätzen ein schlichtes „Weiter so!“.

KOMMENTAR VON ULRICH SCHULTE

Dies alles wäre zu verkraften, eine präsidiale Ruckrede hat schließlich keiner vom Regierenden aus Tempelhof erwartet. Aber leider ist Wowereits Auftritt exemplarisch, er steht für die graue Ideenlosigkeit der künftigen rot-roten Koalition. Bisher haben die Verhandler kleinteiliges Stückwerk vorgelegt, das jeglichen Plan, dem Urteil politisch Paroli zu bieten, vermissen lässt.

SPD und Linkspartei klammern sich an Versprechen, die sie eh nicht halten werden (kein Verkauf städtischer Wohnungen!). Sie schonen die Wirtschaft (keine Erhöhung der Gewerbesteuer!), belasten aber über Umwege die Mieter mit wenig Geld in der Tasche (höhere Grundsteuer). Sie proklamieren trotzig teure Wohltaten, die sich selbst reiche Bundesländer nicht leisten (Gratis-Kitas für alle!). Kurz: Sie ignorieren den Spruch der Richter, der jahrzehntelang das Leben der Stadt prägen wird.

Die rot-roten Politiker verhalten sich im Moment wie Kinder, die sich verstecken wollen. Sie halten sich die Augen zu, in der Hoffnung, nicht gesehen zu werden – dann wird die Katastrophe schon vorbeirauschen.

Die Aufgabe, vor der Berlin steht, ist jedoch mit kollektiver Autosuggestion nicht zu lösen. Der Senat müsste knöcherne Sparlogik mit anarchischem Aufbegehren gegen Bund und Banken verbinden, er darf nicht Tabus aufstellen, die nur Parteiinteressen geschuldet sind. Ansonsten wird der Koalitionsvertrag zur Bankrotterklärung.

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