"Natürlich": Cannabis-betr.: "SPD: Gebt den Shit doch frei", taz vom 2.3.92

betr.: „SPD: Gebt den Shit doch frei“, taz vom 2.3.92

Noch ist nichts wesentliches passiert, ein Gesetz „legalize“ in weiter Ferne, aber schon bricht im Konservativ-Neue-Keynesianischen Block von CDU und FDP das große Geschrei los. [...] Da Alkohol ein „natürliches Rauschmittel“ — so Burkhard Hirsch — ist, wird also der natürliche Suff gesellschaftlich sanktioniert. Was an Cannabis „unnatürlich“ sein soll, wird indes nicht weiter erläutert. Aha, kulturhistorisch gesehen! Also, wenn die ÄgypterInnen ihr Bier brauten, die GermanInnen ihren Met und die alten GriechInnen seit Dynomisos den Wein mischten, dann war das Kultur und die gilt ewig und ehern bis heute. Wenn in anderen Gefilden Cannabis inhaliert wurde, war das keine Kultur!

Wenn's vielleicht auch müßig ist, Vorurteile sind ja so schwer auszurotten, vor allem dann, wenn sie im Kontext mit vermeintlicher Subkultur stehen, so sei Herrn Hirsch in seinem Kultur- und Geschichtsbewußtsein doch etwas nachzuhelfen: In der Literatur wurde Cannabis im Arzneimittelbuch des chinesischen Kaisers Shen-Nung, vermutlich 2737 vor unserer Zeitrechnung erstmalig erwähnt, 800 vor der Zeitrechnung in der indischen Literatur. Wie Alkohol wird Cannabis nicht nur als Genußmittel dargestellt, sondern als Heilmittel empfohlen. Zur gleichen Zeit, und 100 Jahre davor die Assyrer, amüsierten sich die Skythen unter ihren Filzdecken mit einem ordentlichen Joint.

Und auch, unsere „teutschen“ Politiker (Innen auch?) mögen staunen, die braven Altvorderen, die Germanen kannten den Hanf, und nicht nur zum Schnüre drehen. Hanfsamen wurden im fünften Jahrhundert vor der Zeitrechnung als Grabgaben beigegeben — so im brandenburgischen Wilmersdorf entdeckt. Und die strenggläubigen Moslems dürfen kiffen, wenn auch nicht saufen. Denen kann man, vor allen Dingen frau, in jüngster Zeit viel nachsagen, aber historisch gesehen bestimmt keinen Mangel an Kultur.

Mehr darüber könnten Herr Hirsch — aber auch alle interessierten LeserInnen — im Handbuch der Rauschdrogen von Schmidbauer und von Scheid, Fischer, Frankfurt am Main 1980, aber auch in vielen anderen klugen Büchern nachlesen. Johanna Scheibenpflug,

Frankfurt am Main

Mit seiner Aussage, „kulturhistorisch sei Alkohol im Gegensatz zu Haschisch ein natürliches Rauschmittel“, hat „Experte“ Burkard Hirsch in peinlicher Weise eurozentristische Inkompetenz bewiesen. Begriffe wie „natürlich“ provozieren Gegenbegriffe wie „widernatürlich“ — etwas mehr Behutsamkeit im Umgang mit ihnen könnte vielleicht nicht schaden.

Will Hirsch aber die als Totschlagargument gern vereinnahmte (und gleichwohl nicht nur in Ökologie wie Sexualität um so heftiger bekämpfte) „Natürlichkeit“ diskurstechnisch aufrechterhalten, sollte er auf der Hut vor Rückschlägen sein. Vielleicht kennt er kulturhistorische Klassiker wie die Märchen aus Tausendundeiner Nacht nur als Comic? Eine UNO-Studie (von 1950) schätzt die Zahl der Konsumenten der (seit mehreren vorchristlichen Jahrhunderten bekannten und gebräuchlichen) Cannabis-Pflanze auf weit über 200 Millionen. Die halten sich freilich nicht alle im Kerngebiet der abendländischen Kultur auf, wo schon Paulus mehr mit der verbreiteten Trunksucht zu kämpfen hatte (Epheser 5,18). Einen Hauch von kultureller Weitsicht (und Liberalität) allerdings könnte sich die FDP, etwa in Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes in Sachen „Christlicher Wein vs. Muselmanisches Haschisch“ meines Erachtens schon bewahren.

Doch da entpuppt sich der versteckte Kulturfundamentalismus hybrider Gartenzwerge, die ihre Gebräuche für „natürlicher“ halten als die der Heinzelfrau oder des Klabautermanns. Derlei „vorwissenschaftliches“ Seemannsgarn von Hobby- Kulturhistorikern wie Hirsch ist ja weder mit noch ohne Wasserpfeife zu ertragen, regt aber wenigstens an, die Zwischentöne im „Kulturnation Europa“-Geschwätz wahrzunehmen. Mirko Driller, Ost-Berlin

Nachdem ich den Artikel gelesen hatte, mußte ich grinsend meinen Kopf schütteln. Zum einen behauptet da ein Herr Roland Sauer, daß bei einer Drogenfreigabe der Staat zum „Dealer“ beziehungsweise zum Drogenmekka wird. Dazu kann ich ihm nur sagen, daß das Lukrative an dem Drogengeschäft aus der Tatsache der Illegalität entstand. Auch interessiert es wohl die Drogenhändler wenig, ob die BRD jetzt aus der Illegalität heraus zum Drogenmekka wird oder auch nicht. Der finanziellen Lukrativität wegen wird es den Drogenhändlern wohl lieber sein, wenn es so bleibt, wie es ist!

Zum anderen behauptet ein Herr Hirsch, daß Alkohol ein natürliches und kulturhistorisches Rauschmittel sei, im Gegensatz zu Cannabis. Dazu soviel: Cannabis wächst, wie jede andere Pflanze auch und Alkohol muß Schritt für Schritt hergestellt werden (ansetzen, gähren, brennen, filtern etc.). Was Alkohol mit Kulturhistorik zu tun hat, begreife ich auch nicht ganz. Ist es kulturhistorisch, wenn etwa Männer, ihre Frauen oder Kinder im Suff prügeln oder sonstige Gewalttaten im Suff begangen werden? Gehören vielleicht auch die 40.000 Alktoten akzeptiert aufgrund der „Kulturhistorik“? Was versteht Herr Hirsch unter Kulturhistorik — hektoliterweise Bier saufen um daran zu verrecken?

Mir ist, seit ich Kiffer kennengelernt habe, noch kein Gras- oder Haschtoter bekannt geworden. Auch habe ich bekiffte Menschen bisher als sehr friedliche Leute mitbekommen. Zum Schluß möchte ich Richter Wolfgang Neskovic meinen Respekt für sein juristisches Auffassungsvermögen aussprechen. Boris Radovic, Heilbronn