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Archiv-Artikel

press-schlag Leverkusen wechselt schon wieder aus

Auge um Auge

Auf dass keiner sage, sie seien nicht gnädig, auf anrührende Weise gar menschlich umgegangen mit ihrem Kurzzeittrainer. Hätte nämlich, wie es durchaus vorgesehen war, ein leider hinreichend bekannter Sonntagmorgensportfernsehstammtischprolet kürzlich den Job des Oberberaters beim Pillenclub aus Leverkusen übernommen, wäre der bemitleidenswerte Thomas Hörster nun viel mehr los als nur sein Traineramt. Udo Lattek jedenfalls hätte weit weniger Federlesen mit dem ehemaligen Amateur-Übungsleiter des Werkclubs betrieben, so jedenfalls teilte er das der Fußball-Nation mit. Noch am Sonntagmorgen ließ der Alttrainer in bewährt bierseeliger Runde wissen, wie er sich des Problems entledigen würde: „Wenn ein Trainer so etwas sagt“, beckenbauerte Lattek da, „muss man ihn nicht entlassen, sondern erschießen.“ Jawoll! Legt an! Und Prost, Udo!

Nur gut, dass sie vor ein paar Wochen Herrn L. nicht zum Oberberater gemacht, sondern es bei Jürgen Kohler als Sportdirektor belassen haben. Kohler war ja mal Fußballgott, und Gott würde so etwas nie tun, nur weil ein Trainer einen ziemlich unglücklichen Satz geäußert hat. Hörster hatte nach der 1:4-Pleite am Samstag beim HSV gesagt: „Nach der Leistung heute, muss ich sagen, habe ich aufgegeben.“ Das ist ausgesprochen ehrlich, zu ehrlich vielleicht im Abstiegskampf, sogar für Fußballgott. Der jedenfalls hat sich vom Satz des Hörster ein Video besorgt und zusammen mit Manager Reiner Calmund, das ist der nette Dicke, der so gerne drauflos plaudert, angesehen, immer wieder. Danach haben die beiden festgestellt, dass Hörster aufgegeben hat – und ihn entlassen, was vorkommen kann – bei Bayer schon zum zweiten Mal in dieser Saison –, in Anbetracht der Lattek’schen Endlösung aber immer noch ausgesprochen nett anmutet.

Es ist, genau genommen, am Montagabend also gar nichts Besonderes passiert unterm Bayer-Kreuz. Außer dass Calli, der nette Dicke, nach langer Zeit des Unglücks gleich noch und endlich mal wieder einen Coup bekannt geben konnte: Nachfolger von Hörster wird nämlich und mit sofortiger Wirkung Klaus Augenthaler. Der war mal Weltmeister und passt schon daher hervorragendst zu Leverkusen und all seinen Nationalspielern, nächste Saison, so heißt es nun, hätte Augenthaler das Amt ohnehin übernommen. Hinzu kommt, dass Auge den rechnerisch immer noch möglichen Klassenerhalt seines neuen Arbeitgebers von längster Hand vorbereitet hat, auch wenn das erst jetzt ans Tageslicht kommt. Wenn Bayer nächsten Samstag nämlich gegen 1860 München gewänne und zeitgleich Bielefeld in Rostock verlöre, was zumindest nicht ganz undenkbar ist, lägen Auge und Leverkusen plötzlich und erstmals nach ziemlich langer Zeit wieder auf einem Nichtabstiegsplatz – und bräuchten dann nur noch ihr letztes Spiel zu gewinnen, um doch noch in der Bundesliga bleiben zu dürfen. Dieses wiederum findet in Nürnberg statt, was die Sache nun wirklich ziemlich perfide macht. Bis vor kurzem nämlich wirkte dort noch Herr Augenthaler, erst durchaus segensreich, dann aber mehr und mehr unglücklich. Als auch er vor drei Wochen gehen musste, war die Mannschaft jedenfalls derart verwirrt und am Ende, dass sie letzten Samstag abgestiegen ist. Fußball, auch das kein unwichtiges Detail, hat sie schon lange zuvor nicht mehr gespielt – und so könnte die Schwäche Nürnbergs just am letzten Spieltag also zur Stärke Leverkusens werden, Auge sei Dank.

Sollte es anders kommen, können sie bei Bayer ja immer noch bei Herrn L. nachfragen. Mal sehen, wen er dann erschießen will. FRANK KETTERER