press-schlag : Auf der Lichtung gibt es kein Mitleid für das gedemütigte Alphatier
Das Leben, torhungrige Aliens und ein papierner Rekord
Es gibt im Leben wohl ungetrübtere Lustbarkeiten, als in einem angeheiterten Kreise eingefleischter Bayernfans Gerhard Delling und seiner „Sportschau“ sich auszusetzen. Auch, wenn eine einsame Frau wie ein mildernder Umstand stumm zwischen den Kerlen sitzt. Auch, wenn alle das Ergebnis schon kennen und wissen, dass die Bayern wieder einmal gewonnen haben werden.
Aber darum geht es ja gar nicht. Es sind immer die größten Fußballfreunde, die jedem Zweifler versichern, es ginge überhaupt nicht um Fußball. Sondern um das Leben als solches. Großmeister behaupten dasselbe vom Schachbrett. Womit wir bei „Space Invadors“ wären. Das ist ein simples Computerspiel, in dem ein einziges Schiff auf einer Horizontale am unteren Bildrand panisch hin und her hetzt, um eine Armada angreifender Aliens abzuschießen. Das gibt Punkte, vielleicht sogar Rekorde – aber am Ende kann man doch nur verlieren. Es braucht schon einen besonders trübsinnigen Skeptiker, dieses desperate Geballer als „Abbild des Lebens“ zu bezeichnen. Oder einen Torhüter wie Timo Hildebrand vom VfB Stuttgart. Der Mann hat seit 825 Minuten keinen Ball mehr über die Torlinie gelassen. Trotzdem kann der neue Rekordhalter nur verlieren. Nächstes Wochende wird ein neues Geschwader torhungriger Aliens vor seiner Horizontalen auftauchen.
Es ist ein papierner Triumph, der Statistik geschuldet. Und doch sind diese 825 Minuten, wenn wir beim Leben bleiben wollen, ein Triumph über das Alphatier des deutschen Fußballs. Oliver Kahn, der bisherige Rekordhalter, der den Boulevard mit Geschichten über seine toten Augen und seine vitale Libido auf Trab hält, stolziert auf den Platz wie der Hirsch zur Brunftzeit auf die Lichtung. Er röhrt und repräsentiert, aber beim Gegentor der Bayern lässt er sich übertölpeln wie … tja, wie sonst nur blasse Keeper bei Vereinen wie dem VfB Stuttgart. Als der Ball sich ins Netz senkt, da schwingt im Geheul der Bayernfreunde mehr Hohn denn Mitleid mit – das gibt es nicht auf der Lichtung, auf dem Rasen, vor dem Fernseher. Im Leben nicht.
Das sollte aber nicht die einzige Lektion an diesem Abend bleiben. Plötzlich nämlich schnellt die einzige Dame der Runde – ansonsten völlig unberührt von Brunft, Triumph und Rekord – wie von der Tarantel gestochen nach vorne, mit hochrotem Kopf deutet sie auf den Bildschirm: „Oh, wow!“ Die Kamera hat soeben einen Prominenten auf der Tribüne eingefangen. Den süßen Skispringer Sven Hannawald. So viel zum Leben. ARNO FRANK