portrait : Wandelndes Tour-Lexikon hinter Gittern
Der Sommer in Frankreich kann ja so schön sein, und auch Jürgen Emig genoss ihn immer in vollen Zügen. Braun gebrannt zeigte er sich dann dem Fernsehzuschauer, silbern glänzte dazu das Haar. Mehr noch aber als durch sein dandyhaftes Äußeres bestach der langjährige Tour-de-France-Experte der ARD Tag für Tag durch seinen unerschöpflichen Wort- und Sprachwitz, der aus ihm herausschoss wie Champagner aus einer geschüttelten Flasche. Nichts, was dieses Urgestein der Tour-Berichterstattung nicht gewusst, gekannt, erlebt, getrunken oder schon einmal gekostet hätte – und dem Zuschauer in seiner unnachahmlichen Art näher brachte.
Seit Mittwoch nun sitzt Emig im Gefängnis. Seit über einem Jahr hat die Staatsanwaltschaft wegen Bestechungs- und Betrugsverdachts gegen den ehemaligen Sportchef des Hessischen Rundfunks (HR) ermittelt. Emig soll gegen Bares für gute Bilder von Sportevent-Sponsoren im öffentlich-rechtlichen Programm gesorgt haben. Praktischerweise abgerechnet unter anderem über die Media-Agentur seiner Frau.
Schon seit seinem Rücktritt als Sportchef im April 2004 ist es aus mit dem segensreichen Wirken des wandelnden Tour-de-France-Lexikons Dr. Emig. Dabei hatte sich der auf den regen Gebrauch seines Titels durchaus Wert legende Doktor durch seine unübertreffliche Fachkompetenz doch nahezu unentbehrlich gemacht. Wenn der Tour-Tross zum Beispiel im Gebirge angekommen war, war es Dr. Emig, der spitzfindig bemerkte: „Ich sag jetzt mal was ganz Flaches: Der Berg wird immer steiler.“ Wenn vorne im Feld eine zweiköpfige Ausreißergruppe für Tempo sorgte, war es Dr. Emig, der als Erster konstatierte: „Die beiden sind ja auch noch zu zweit!“ Und selbst für die Zuschauer am Streckenrand hatte der Doktor stets einen Blick übrig: „Stundenlang haben sie in sengender Sonne gewartet, um dann in letzter Sekunde aus dem Schatten zu treten.“ Das war stets TV-Journalismus vom Feinsten, ganz unabhängig vom Savoir-vivre, das Dr. Emig nebenbei vermittelte. Denn wer unter den Zuschauern hätte ohne Dr. Emig je erfahren, dass die luxemburgische Kellerei Grevenmacher bereits 1921 gegründet wurde oder es im Moseltal so warm ist, dass man sogar exotische Falterarten in freier Wildbahn halten kann?
Natürlich hatte solch schulbuchmäßige Wissensvermittlung ihren Preis. Und was kann schon Dr. Emig dafür, dass die ARD respektive der Hessische Rundfunk, dessen Sportchef Dr. Emig so lange Zeit war, diesen Preis nicht zahlen wollte – und er, Dr. Emig, mehr oder weniger dazu gezwungen war, die fehlende Kohle nebenbei zu verdienen? STG, KET
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