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Archiv-Artikel

portrait Herr über die Neuwahlen

Wenn der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts heute die Klagen der Abgeordneten Jelena Hoffmann (SPD) und Werner Schulz (Grüne) gegen die vorgezogene Neuwahl verhandelt, spielt Richter Udo Di Fabio die Hauptrolle. Zwar hat er formal nicht mehr Gewicht als seine sieben Kollegen. Doch als Berichterstatter hat er mit seinen Mitarbeitern das Verfahren vorbereitet. So kennt er den Fall am besten und kann ihn effizient beeinflussen.

Di Fabio hat schon immer seine Chancen zu nutzen gewusst. Als Enkel italienischer Einwanderer im Ruhrgebiet durfte er zwar nur auf die Realschule und begann nach der Mittleren Reife eine Beamtenlaufbahn. Nebenbei besuchte er aber das Abendgymnasium, holte das Abitur nach und begann ein Jurastudium. Mit 28 hatte er sein erstes Staatsexamen in der Tasche.

In diesem Stil setzte Di Fabio seine Karriere fort – immer etwas breiter gefächert und ehrgeiziger als die Mitstudenten. Neben Jura studierte er noch Soziologie und promovierte in beiden Fächern. Später wurde er Rechtsprofessor nacheinander in Münster, Trier, München und Bonn. Auf Vorschlag der Union wurde der parteilose Jurist 1999 dann ans Bundesverfassungsgericht gewählt.

Di Fabio trägt meist Dreitagebart und eine randlose Brille. Das lässt den 51-Jährigen fortschrittlich aussehen, fast wie einen Alt-68er. Doch Fixpunkte sind für ihn vielmehr Ehe und Familie – er ist verheiratet und hat vier Kinder –, Leistungsbereitschaft und Patriotismus. So hat er es auch in seinem gerade erschienenen Buch „Kultur der Freiheit“ beschrieben: „Wir müssen stärker den Zusammenhang von individueller Freiheit und unentbehrlichen Gemeinschaften – wie Familien, Nationen, Religionsgemeinschaften – beachten.“ Manche sagen dazu, sein Wertesystem sei stark von den 50er-Jahren geprägt.

Im Verfahren um die Neuwahl wird das keine große Rolle spielen, auch Di Fabio kann hier voraussichtlich nur wenig eigene Akzente setzen. Denn das Karlsruher Urteil von 1983, als das Gericht den Wunsch Helmut Kohls nach vorgezogenen Neuwahlen respektierte, hat die wesentlichen Fragen bereits geklärt: Die inszenierte Vertrauensfrage als Weg zu vorgezogenen Neuwahlen ist zulässig, wenn der Kanzler Zweifel an der Verlässlichkeit seiner Regierungsmehrheit hat. Und weil das Gericht dem Kanzler damals auch einen „Beurteilungsspielraum“ einräumte, muss Schröder in Karlsruhe wohl keine Blamage fürchten. Natürlich könnte das Gericht die Rechtsprechung von 1983 über den Haufen werfen. Aber das ist für Di Fabio vermutlich keine Option: Als Konservativer legt er Wert auf Berechenbarkeit. CHRISTIAN RATH