portrait : Kämpferin gegen die Todesstrafe
Tamara Schikunowa hatte am 11. Juni 2000 den Kampf um das Leben ihres Sohnes verloren. An diesem Tag wurde der 29-jährige Dimitri von den usbekischen Behörden hingerichtet. Weder wurde der resoluten Frau zuvor der Vollstreckungstermin genannt noch nachher die Leiche des Sohnes ausgehändigt. Der Sohn musste sterben, wie die Mutter später herausfand, an dem Tag, als sie einen Besuchstermin im Gefängnis hatte und ihr dieser verwehrt wurde.
Zwei Jahre hat die 57-Jährige um das Leben Dimitris gerungen. Der Sohn wurde 1999 verhaftet, da er einen Geschäftspartner getötet haben sollte, und wenige Monate später zum Tode verurteilt. Die zuvor völlig unpolitische Frau erlebte während dieser Zeit die brutale Willkür und Korruption des usbekischen Rechtssystems. Ihr Sohn wurde gefoltert, Beweise bis ins Absurde zurechtgebogen. Offen wurde ihr die Summe genannt, die sie zahlen müsste, um ihren Sohn zu befreien. „Polizei und Staatsanwalt machten sich nicht mal die Mühe, zu verbergen, dass mein Sohn unschuldig sein könnte“, erzählt Schikunowa, „ein Mord war passiert und man brauchte einen Täter.“
Nachdem die in Usbekistan geborene Russin von der Vollstreckung des Todesurteils erfuhr, entschied sie sich weiterzukämpfen. „Täglich führen viele Mütter und Väter in Usbekistan einen ähnlich hoffnungslosen Kampf um das Leben ihrer Söhne“, sagt Schikunowa. Sie gründete 2000 die Organisation „Mütter gegen Todesstrafe und Folter“. „Ich hatte kämpfen gelernt. So konnte ich dem Tod meines Sohnes einen Sinn geben.“
Die Wohnung Schikunowas in Taschkent wurde zum Büro der Organisation und zur Anlaufstelle der verzweifelten Menschen, deren Angehörige in die Mühlen der usbekischen Justiz geraten sind und in Gefängnissen auf Tod und Folter warten. Die Organisation hilft dabei, Anwälte zu finden, Briefe zu vermitteln und die Weltöffentlichkeit zu informieren.
Schikunowa und ihre Organisation gerieten schnell in das Fadenkreuz des usbekischen Sicherheitsapparats. Sie und ihre Mitarbeiter unterliegen ständiger Bedrohung und Schikane, gleichwohl macht die Menschenrechtsaktivistin weiter. „Ich habe keine Angst mehr“, erklärt sie trotzig. Schikunowa wurde gestern mit dem Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Heute wird in Taschkent der Prozess gegen 15 angebliche Terroristen fortgesetzt, der die Verantwortung der usbekischen Regierung für das Massaker von Andischan verschleiern soll. Die Aussagen der geständigen Angeklagten wurden mit Folter erpresst, ihnen droht die Todesstrafe.
MARCUS BENSMANN