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Archiv-Artikel

portrait Der erniedrigte Bahnhofsarchitekt

„Klein-Klein“ ist Meinhard von Gerkans Sache nicht. Der Stararchitekt und Kopf des renommierten Hamburger Büros Gerkan, Marg und Partner (GMP) bewegt sich mit seinen Entwürfen gerne am Rande des technisch Machbaren. Für die Chinesen baut er derzeit eine Idealstadt aus dem Nichts, die in der Nähe von Schanghai liegen wird. Rund um einen künstlichen See hat er sie angelegt, mit Stränden, U-Bahnen und allem, was dazugehört. 800.000 Menschen sollen einmal in ihr leben. „Luchao“ haben die Chinesen sie getauft: „Wassertropfen“.

Bildlich geradezu ein „Tropfen auf dem heißen Stein“ ist dagegen die Deckenkonstruktion in einem Bahnhof – auch wenn sie den künftig größten Kreuzungsbahnhof Europas, den neuen Berliner Hauptbahnhof, ziert. Nicht jedoch für von Gerkan. Für den weltweit erfolgreichen Bauplaner ist die von ihm entworfene, aber nicht realisierte Decke Grund genug, um wegen Verletzung des Urheberrechts vor Gericht zu ziehen: Ein kathedralengleiches Gewölbe aus silbrig glänzenden Alulamellen hatte ihm für die beiden Untergeschosse des neuen Hauptbahnhofs vorgeschwebt. Stattdessen ließ die Deutsche Bahn von einem anderen Architektenbüro dort schnöde, graue Flachdecken einziehen. Die Änderung an dem insgesamt 700 Millionen teuren Großprojekt begründete sie mit Kosten- und Zeitersparnis. Für den 70-jährigen Ästheten, der sich mit dem Hauptbahnhof ein weiteres Denkmal in Deutschland setzen wollte, ist es nicht nur eine „Supermarktdecke“. Schlimmer noch: sie ist das „Widerlichste vom Widerlichen“, wie er bei Anhörung vor Gericht verlauten ließ. Von Gerkan scheut klare Worte nicht – auch weil er es nicht mehr nötig hat.

Seine Biografie ist die eines Selfmade-Manns, wie es sie in der Nachkriegsgeneration häufiger gibt: 1935 in Riga/Lettland geboren, wuchs er nach dem Tod beider Eltern als Pflegekind bei einer Hamburger Pfarrersfamilie auf. Nach einem abgebrochenen Jura- und Physikstudium fand er erst in der Architektur seine Berufung. Gerkan ist zum zweiten Mal verheiratet und hat fünf Kinder. Als 30-Jähriger gewann er zusammen mit seinem Partner Volkwin Marg 1965 den Wettbewerb zum Bau des Berliner Flughafens Tegel. Mit dem gemeinsamen Architektenbüro ging es von da an rasant aufwärts. Heute hat GMP Dependancen in Aachen, Berlin, Braunschweig, Leipzig und Peking und hat als größte deutsche Entwurfsfabrik bereits über 200 Bauwerke errichtet – darunter das Europäische Patentamt in München oder die Neue Messe in Leipzig. Das heutige Urteil im Streit zwischen dem „Goliath“ unter den Architekten und der Bahn als größtem deutschen Bauherrn gilt daher schon jetzt als Präzedenzfall. TINA HÜTTL