portrait : Hartnäckig wie Mahatma Gandhi
Als sie zuletzt in der Öffentlichkeit gesehen wurde, lag Medha Patkar erschöpft unter einer Plane auf einem Bürgersteig im Zentrum der indischen Hauptstadt Delhi. Eine Helferin fächelte der vom Hungerstreik geschwächten Aktivistin bei Temperaturen um 38 Grad Luft zu, während Unterstützer von der Regierung verlangten, den Forderungen der 51-Jährigen und ihrer Bewegung Narmada Bachao Andolan (NBA – Rettet den Narmada) nachzugeben. Die Solidarität reicht von der Autorin Arundhati Roy über die die Regierung stützenden Kommunisten bis hin zu Bollywood-Stars und Expremiers.
Die NBA will die Regierung zwingen, beim Bau des Sardar-Sarovar-Staudamms am Fluss Narmada die Auflagen des Obersten Gerichts einzuhalten. Die sehen vor, dass die Staumauer nur erhöht werden darf, wenn die betroffenen Anwohner zuvor Ersatzland bekommen. Da dies laut NBA missachtet wurde und jetzt weiteren 35.000 Familien Vertreibung droht, sprach Patkar zuerst bei der Regierung vor. Als die aber die Genehmigung zur Erhöhung des Damms auf 121,92 Meter nicht zurückzog, trat Patkar mit zwei Mitstreitern am 29. März in den Hungerstreik.
Bereits zum wiederholten Mal greift sie zu dieser drastischen Protestform. Die frühere Sozialarbeiterin kämpft seit mehr als 20 Jahren gegen Staudämme am Narmada und setzt sich für die von Vertreibung betroffenen Anwohner ein. 1985 gründete sie die hauptsächlich von Frauen getragene NBA und wurde für ihren gewaltfreien Kampf mehrfach ausgezeichnet, darunter 1991 mit dem alternativen Nobelpreis. Sie erreichte immerhin, dass sich die Weltbank aus dem umstrittenen Projekt zurückzog und Gerichte Auflagen machten.
Patkar erinnert mit ihrer Hartnäckigkeit und ihrer pazifistischen Kampfform, die nur Gewalt gegen sich selbst duldet, an Mahatma Gandhi. Deshalb wird sie gelegentlich als „weiblicher Gandhi“ bezeichnet. Der Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung wird heute noch verehrt, doch meist nur als historische Figur. Umso irritierender ist Patkars Vorgehen für ihre Gegner, die darauf ähnlich hilflos reagieren wie einst die Briten auf Gandhi.
Patkars Hungerstreik wird sehr ernst genommen. Schon am 6. Tag besuchten sie drei Minister, die eine Untersuchung versprachen. Dann wurde sie nachts von der Polizei gewaltsam in ein Krankenhaus gebracht, wo sie jetzt auch gegen ihren Arrest hungert. Am Sonntag begann der den Damm unterstützende Ministerpräsident des Bundesstaats Gujarat ein 51-stündiges Fasten, um Patkar den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die setzte gestern ihren Hungerstreik trotz angeschlagener Gesundheit unbeirrt fort. SVEN HANSEN