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Archiv-Artikel

philipp maußhardt über Klatsch Trümmer im Kopf

Der Irakkrieg wird nicht nur die Welt verändern. Auch mein persönliches Koordinatensystem muss neu sortiert werden

Es ist 6.29 Uhr, seit zwei Stunden und 44 Minuten wird Bagdad bombardiert. Gibt man die beiden Suchbegriffe „Klatsch“ und „Irak“ im Internet ein, erhält man ungefähr 3.450 verschiedene Informationsangebote. Es stimmt also doch, dass alles mit allem zusammenhängt.

Vor ein paar Tagen musste ich noch lachen. Ceca Ražnatović, 29, (jetzt zucken alle Serben zusammen) ist in Belgrad verhaftet worden. Ceca, für alle Nichtserben, ist eine der schönsten Frauen auf dem Balkan, ebendort berühmte Schlagersängerin, und war, ehe sie vor drei Jahren Witwe wurde, mit einem der übelsten serbischen Kriegsverbrecher, mit Zeljko Ražnatović, genannt „Arkan“, verheiratet. Nachdem die üblichen Unbekannten Arkan im Januar 2000 erschossen hatten, erbte Ceca sein kriminelles Vermögen und lebte weiter in Saus und Braus. Zuletzt soll sie sogar ein Verhältnis mit „Legija“ gehabt haben, dem zweitschlimmsten Kriegsverbrecher des Kosovokriegs und heutigen Mafiaboss, dem auch der Mord am serbischen Regierungschef Zoran Djindjić angelastet wird.

Was mich zum Lachen brachte, war die Internetseite der Mafia- und Kriegsverbrecherbraut (www.ceca.de). Dort sieht man als Erstes einen Aufruf gegen den Krieg: „No war in Irak.“ Ich fand das sagenhaft komisch. So komisch etwa, als wäre Josef Goebbels heute noch am Leben und Pressesprecher von amnesty international.

So abwegig ist der Gedanke gar nicht. Schaut euch Biermann an! Was aus ihm geworden ist. Der war einmal nicht nur Gedanken-, sondern auch Gefühlsträger einer ganzen linken Generation. Heute steht er mit seinem senilen Kriegsgebruddel irgendwo zwischen Angela Merkel und Olaf Henkel. An seiner Stelle würde ich erschrecken, wenn ich mich umschaute.

Und dann möchte ich mich noch entschuldigen. Bei Dr. Jürgen Todenhöfer. Er war einmal mein Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Tübingen-Hechingen, den man seiner geografischen Form wegen auch den „Bananen-Wahlkreis“ nannte. Damals ließ ich mir einreden, Todenhöfer sei ein ganz schlimmer Finger. Ein Reaktionär, wer das Wort noch kennt. Ich pfiff, ich buhte, ich schrie: „Stoppt Strauß!“ Und ich war froh, als dieser Mann endlich die politische Bühne verließ und im Burda-Verlag die Geschäfte leitete.

Schaut euch Todenhöfer an! Vermutlich hat kein anderer in Deutschland so viel für die Antikriegsstimmung getan wie er. Sein Buch „Wer weint schon um Abdul und Tanyana?“ trifft genau das Körperorgan unter den Rippen, mit dem man bei Fragen von Krieg und Frieden nachdenken sollte. Selbst mein Vater, in allen politischen Diskussionen grundsätzlich zunächst immer auf der Seite Israels, hält diesen Krieg nicht mehr für richtig. Todenhöfer habe ihn überzeugt.

Blair hielt ich einmal für links. Todenhöfer für rechts. Biermann für gut und Ceca für böse. Jetzt wird schon seit drei Stunden und 33 Minuten gebombt, und die Trümmer in meinem Kopf muss ich neu sortieren. Ich denke an Esam al-Azzawy. Ein junger Maler aus Bagdad, belesen, gebildet, beherrscht drei europäische Sprachen fließend. Vor ein paar Wochen saßen wir noch zusammen im Garten einer Galerie um ein Feuer herum und aßen gegrillten Fisch aus dem Tigris. Was er machen wird, wenn die Bomben fallen?, wollte ich wissen. „Ich werde mir die letzten Tabakbrösel in meine Pfeife stopfen und ein Glas Wasser trinken.“

Ich denke an Jürgen Hahnel. Vorgestern ging es ihm noch gut. Da wohnte der Tübinger noch in einem Container auf dem Gelände der Bagdader Ölraffinerie und wollte als einer von insgesamt vier deutschen „menschlichen Schutzschilden“ den Krieg verhindern. Am Telefon sagte er: „Ich habe keine Angst.“

Und ich denke an Amir, den achtjährigen Schuhputzer, der lieber Fußball gespielt hätte, als seinen schweren Schuhputzkasten durch die Straßen zu schleppen. Auch wenn er überleben wird, die Bomben von heute wird er sein Leben lang nicht mehr vergessen.

Übermorgen, am Sonntag, ist Oscar-Verleihung in Los Angeles und die Veranstalter haben schon im Vorfeld des Krieges mitgeteilt, dass man feiern wird „in jedem Fall“, nur vielleicht „in einem der Zeit angemessenen Ton“. Schauspielern fällt es ja nicht schwer, immer das richtige Gesicht aufzusetzen. Einige haben trotzdem keine Lust. Der finnische Regisseure Aki Kaurismäki hat abgesagt, weil er nicht festen möchte, während „die US-Regierung gleichzeitig Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf der Basis rücksichtsloser wirtschaftlicher Interessen“ begeht. Und Anke Engelke, eigentlich als Moderatorin vorgesehen, kann auch nicht: „Beiträge über die fettesten Brüste und schrillsten Kleider kriege ich nicht hin, wenn George Bush gleichzeitig in den Krieg zieht.“ Aus Sicherheitsgründen soll der Luftraum über Hollywood am Sonntagnachmittag für den Flugverkehr gesperrt werden. Ach Gott, hoffentlich passiert denen nichts.

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