peter ahrens über Provinz : Soli-Heulen in Altona
Der Osten ist im Westen gerade unheimlich schick – allerdings auch nur dort
Ich bin wahrscheinlich einer der Letzten in Deutschland West und Ost, inklusive befreundeter Nachbarländer. Bisher hatte ich mich dem Hype standhaft verweigert. Aber da ich auf Altonaer Stehpartys irgendwann nicht mehr gelangweilt daneben stehen wollte, wenn das Gespräch auf Spreewaldgurken, Florena und Ziphona zusteuerte, habe ich mir am Wochenende nun auch „Good bye, Lenin“ angesehen. Jetzt kann ich endlich mitreden. Als am Ende die Rakete mit der Asche der Mutter in die Luft gestiegen ist und der abgehauene Vater aus dem Westen wieder auftauchte, habe ich auch meinen Solidaritätszuschlag geleistet und mir im Cineplex pflichtschuldigst die Augen aus dem Kopf geheult. Vielleicht nicht so sehr wie einst bei „Message in a Bottle“, als Kevin Costner ein letztes Mal mit dem Boot, das er nach seiner verstorbenen Frau benannt und mit eigenen Händen geschnitzt hat, auf die See ausgefahren ist und nicht zurückkehrt, weil er ein kleines Kind im Sturm aus Seenot gerettet hat und dabei selbst umgekommen ist und für die Reporterin, die ihn liebte, nur noch eine Flaschenpost von ihm übrig blieb. Wo doch gerade alles gut schien, nachdem Paul Newman, der wo der Vater von Kevin Costner ist, sein Alkoholproblem endlich in den Griff bekommen und Costner sich gar mit der Familie seiner toten Frau wieder vertragen hatte. Aber beinahe so viel.
Ach ja, die gute, alte DDR. Mal wieder Anlass und Zeit, an sie zu denken. Schließlich ist der 29. Jahrestag des Sparwasser-Tores nicht mehr fern, und die 74er-WM-Schmach im Volksparkstadion ist für Hamburger neben Wolf Biermann nach wie vor die bedrückendste gedankliche Erinnerung, die sie mit der Deutschen Demokratischen Republik verbindet. Für mich bedeutete die DDR früher in Paderborn jedenfalls nicht Honecker, Havemann oder jedwede Stoph-Nichte, sondern nur das schöne Schwimmerpärchen Roland Matthes und Kornelia Ender, die Läuferin mit dem hübschen Namen Renate Stecher oder der Nordisch Kombinierte Ulrich Wehling. Aus einem diffusen Gefühl für Gerechtigkeit drückte ich den Männern und Frauen in ihren hellblauen Trainingsklamotten fest die Daumen und freute mich sehr, wenn ich in meinem privaten Medaillenspiegel auf dem DIN-A 4-Zettel hinter DDR einen weiteren Strich machen konnte.
Irgendwann waren DDR und Gerechtigkeitsgefühl verschwunden, und an ihre Stelle trat bei mir die gesunde Westarroganz, nachdem ich das erste Puhdys-Konzert in Paderborn miterlebt hatte, das schöne SDAJ-Festival der Jugend im Ruhrgebiet mangels Geldquelle nicht mehr stattfand und der ewige Kanzler drüben wahlmäßig komplett abgeräumt hatte. Die erste Erkundungstour in den Osten endete in den Weiten des katholischen Eichsfeldes bei der klaren Feststellung, dass die Leute „hier doch irgendwie dicker sind“. Einem Pony, das sich auf der Wiese in einem Seil verfangen hatte, schenkten wir überlegen grinsend „nach 40 Jahren Unterdrückung die Freiheit“. Und die folgenden Ausflüge Richtung Sachsen-Anhalt wurden stets mit dem kleinen Wettspiel eingeläutet: Wer als erster einen Skinhead sieht, wird zum Essen eingeladen. Mein Bonner Freund Jörg behauptet bis heute, in der Fußgängerzone West von Ost per Anblick scheiden zu können. Er verrät nicht, wie er das rausfindet, aber meistens klappt es.
Den Mauerfall habe ich übrigens, da gings mir genau wie der Mutter im Kinofilm, verschlafen. Ich bin im Unterschied zu ihr am Morgen des 10. Novembers allerdings wieder wach geworden. Die Erörterung der Frage, wer von uns beiden es damit besser hatte, würde hier den Rahmen dieser kleinen Kolumne sprengen.
Nach „Good bye, Lenin“ ist natürlich alles anders geworden. Es ist jetzt so wahnsinnig cool, mit dem FDJ-Hemd in die Disko auf der Großen Freiheit zu marschieren und mit dem FDGB-Feuerzeug zu posen. Auf einmal ist im Osten auch niemand mehr arbeitslos, weil jeder als kleine Ich-AG des Super-Clement einen kleinen Laden hat, in dem originale Ostprodukte feilgeboten werden. Und Stasi ist nur noch ein extrem schicker Markenartikel. Die waren ja auch so lustig schlecht gekleidet beim MfS.
Neulich habe ich eine Freundin in Rostock besucht. Sie hat mir Fotos von einer Marketing-Aktion der dortigen Ostsee-Zeitung gezeigt. Dabei reiten der Lokalchef der Zeitung, der aus Hamburg stammt, und der Rostocker Oberbürgermeister, der aus einem Kaff im Ostfriesischen kommt, gemeinsam auf einem Elefanten durch die Innenstadt.
Es war nicht alles schlechter in der DDR.
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