pampuchs tagebuch : New Economy auf dem Lande
Werbelyrik ist eine der großen Geißeln unsere Zeit. Vor allem auf dem Reise- und Erholungssektor ist in den letzten Jahrzehnten im Wohlfühllyrikbereich Unglaubliches geleistet worden. Warum soll jemand heute eigentlich noch Gedichte schreiben, wenn er doch als Werbetexter mit Kuschelsentenzen jutet Jeld verdienen kann?
Der arme Erich Kästner war mit seinem (ehedem) hübschen „mit der Seele baumeln“ einfach zu früh dran. Heute hätte er mit dem Spruch – rechtzeitige Patentierung vorausgesetzt – vermutlich ausgesorgt, denn es gibt praktisch keine Weltgegend mehr, die nicht mit dieser Losung würbe.
Ich für mein Teil baumle gerade selig im Luftkurort Pfronten im Allgäu. Hier heißt die einschlägige Losung „Durchatmen und sich wohl fühlen“. So steht es jedenfalls im „Urlaubsjournal 2003“ des Kurortes, bei dem man nicht so recht weiß, was man mehr bewundern soll: die Schönheit der Gegend oder die Internetpräsenz der hier ansässigen Ferienwohnungsvermieter. Ich habe mich ja schon öfter über die Professionalität im ländlichen Vermietungssektor gewundert, doch die Allgäuer schießen dabei den Vogel ab: Fast jedes Gästehaus und jeder Bauernhof mit Fremdenzimmer hat eine vielseitige Webpage mit aktuellem Fotoservice, Webkamera, Wohnungsgrundriss, Kartenmaterial und was nicht allem. Dabei sind die Preise zivil und die Leute nett. Neben hübscher Gegend und schönen Wohnungen verfügt Pfronten auch noch über ein schnuckeliges kleines Kino, einen Naturkostladen und einen jener ausgezeichneten Supermärkte der Feneberg-Kette, die mit ihren ökologischen „Von hier“- Produkten aus der Region Furore von der besten Sorte macht. Losung: „Das Gute liegt so nah!“
Der einzige Schatten, der zunächst auf mein Feriendomizil fiel, war die Tatsache, dass der ganze Ort nur über zwei nahezu unbrauchbare Internetcafés verfügte: Ein Gerät steht in einer lauten Dorfdisko, das andere in einem Reisebüro, beide sind zu teuer und zu langsam. In jedem Andendorf gibt es in dieser Hinsicht mehr Service. Doch da sagten mir die freundlichen Pfrontener, dass auch die lokale Raiffeisen-Bank ein Internetcafé betreibt. Und wirklich: In den hübschen Hallen des Geldinstituts steht ein ansehnlicher Rechner mit zwei bequemen Barstühlen davor. Jeder, egal ob Kunde oder nicht, darf hier kostenlos surfen und mailen. In Pfronten macht es wieder Spaß, einen Supermarkt zu betreten und auf die Bank zu gehen: Wo hat man das heute noch? Frischer Wind im Dienstleistungssektor. Da lassen wir doch gerne unseren Atem baumeln. THOMAS PAMPUCH