off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Bis Mitte Februar nächsten Jahres widmet man sich im Nickelodeon-Kino dem Thema „Berlin – geteilte Stadt“. Das Programm reicht von Defa-Klassikern wie „Berlin – Ecke Schönhauser“ bis zu Michael Kliers Nach-Wende-Drama „Ostkreuz“; ferner gibt es jeweils donnerstags Vorträge von Filmwissenschaftlern und Publikumsgespräche mit Regisseuren und Schauspielern. Eröffnet wird die Reihe am heutigen Donnerstag mit Billy Wilders „Eins, Zwei, Drei“, in dem der unlängst verstorbene Horst Buchholz als forscher Jungmarxist mit der Tochter von Coca-Cola (Pamela Tiffin) anbändelt und flugs zum Erzkapitalisten umgemodelt wird. Bekanntlich hatte der Regisseur bei der Produktion seiner Farce vor allem mit schlechtem Timing zu kämpfen: Zunächst kam ihm 1961 bei den Dreharbeiten in Berlin der Mauerbau dazwischen, und später wollte niemand das mit Mühe fertiggestellte Werk ansehen. Die Tragik der Ereignisse an der innerdeutschen Grenze hatte den Film überrollt. Warum die Deutschen in Zeiten des Kalten Kriegs einfach keine Komödien mochten, klärt vor der Kinovorstellung ein Vortrag des Filmhistorikers Rolf Aurich, später wird dann zur Eröffnung der Fotoausstellung „Berlin Frollein“ von Kirsten Kiesow geladen und ein Ost-West-Buffet (?) verspeist.
So richtig begeistert war von Steven Soderberghs auf insgesamt vier verschiedenen Realitätsebenen ablaufenden Beinahe-Komödie „Full Frontal“ kaum jemand: Sowohl bei den Filmfestspielen von Venedig im Jahr 2002 als auch beim regulären Kinostart wurde die Geschichte um eine Reihe von Personen, von denen die meisten in Kontakt mit dem Showgeschäft stehen, als Insiderwitz abgetan. Doch hat man einmal erkannt, dass es dem Regisseur nicht wirklich darum geht, hier lediglich Späße über und mit Brad Pitt, David Fincher und Harvey Weinstein zu treiben, dann bietet das Werk durchaus Denkstoff: über die Wahrnehmung von Realität im Kino, Kommunikationsprobleme aller Art sowie die Darstellung von schwarzen Schauspielern im Mainstreamkino. Leicht zugänglich ist „Full Frontal“ angesichts seiner komplexen Struktur und der über weite Strecken wackeligen Videoästhetik nicht, doch der Film belegt den spielerischen Umgang des Regisseurs mit seinem Medium und kommt dem „wahren“ Steven Soderbergh vermutlich recht nahe.
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Auf Iris (Kati Outinen), das „Mädchen aus der Streichholzfabrik“ in Aki Kaurismäkis gleichnamigem Film, scheint das Licht des Lebens nicht gerade besonders hell: Der Job in der Endkontrolle der Fabrik ist mehr als eintönig, zu Hause liefert sie ihren Lohn ab und erledigt die gesamte Hausarbeit – zum Dank nimmt ihr die Mutter dann beim Abendessen das Fleisch aus der Suppe. Kaurismäkis Heldin muss gar nichts sagen (einziger Dialogsatz in den ersten zwanzig Minuten: „Ein kleines Bier, bitte“), weil die Bilder so deutlich sprechen: präzise, unerbittlich und mit unterschwelligem sarkastischem Humor beschreibt der Film Iris’ Situation als ausgebeutetes Mauerblümchen und ihre Versuche, das triste Leben irgendwie zu meistern. LARS PENNING