o itzehoe, o glück, o wonnen! von WIGLAF DROSTE :
Das sind sieben Glücks- und Sternstunden des Hörbuchwesens: Hanns Zischler liest „Die Vollidioten“ von Eckhard Henscheid. Das Buch, 1973 erschienen, muss man nicht mehr preisen, es ist das einflussreichste aus den Siebzigerjahren in Deutschland. Nahezu alles ist darin, was Welt ist: Sexualgewürge, Exzess, Rausch, Literatur, Philosophie, Musik, Geniali- und Genitalität, die Suche nach Glück und Geld, das Sichklammern an Rituale, um die Banalität des Lebens niederzuzwingen, und alles ist prächtig eingewickelt in große Komik und lautere Wahrheit. Der große F. K. Waechter beispielsweise wird hier früh und zu Recht geehrt als „eine wunderbare Symbiose von Malerei und Fußball“.
Überhaupt verkeilte Henscheid in seinem ersten und mit Abstand besten Roman wahrhaft alles mit allem: Dostojewski, Horkheimer, Rotamint-Automaten, Camus, Nietzsche, Stalin, Brahms, Mahler, Schumann, Bernd Hölzenbein und die Frankfurter Eintracht, den Posaunisten Mangelsdorff, Wilhelm Genazino (der hier Wilhelm Domingo heißt), Hilmar Hoffmann, Wolf Wondratschek, das Tessin, das Glasreinigerwesen, die Sozialdemokratie, Kartoffelchips, das Leben als Pardon-Redakteur in Frankfurt am Main, kurz: „die ganze verwichste Scheiße“, wie es im Roman heißt.
Das Leben ist ein Tollhaus, prallvoll mit grandiosen Nichtigkeiten; Henscheid reservierte seinem Ich-Erzähler eine der schönsten Rollen und ließ ihn den unschuldig sich stellenden, gleichwohl hemmungslos sich verstrickenden, intriganten Anfeuerer, Betreiber und Chronisten des Irrsinns spielen.
Hanns Zischler gelingt in seiner zugunsten der Firma Zweitausendeins gelesenen Interpretation das beinahe Unmögliche: Er spricht „Die Vollidioten“ so gut, dass man das Buch nicht mehr selbst lesen, sondern nur noch von ihm hören möchte. Zischlers Stimme, seine Diktion, sein kein bisschen kumpelndes Begreifen des Textes holen, zaubrisch, präzise und sternenklar, alles aus den Figuren heraus. Aus dem im Roman nicht recht fassbaren Schweizer Depressivum Peter Jackopp macht Zischler eine nahezu liebenswerte Unglücksgestalt, deren Wahnhaftigkeit man jedenfalls nicht abtut, sondern mit durchleidet.
Dem ohnehin rückstandslos wunderbaren, der Stadt Itzehoe entsprungenen Top-Radaubruder Joachim Kloßen verleiht Zischler mit eher kühler Unaufgedrehtheit beinahe noch mehr Lebenswucht. Ah, Kloßen – was für eine prachtvolle Gestalt, immerzu wühlend und ramenternd in der Hoffnung auf einen Geldschein, der umstandslos, zügig und auf seltsame Art sogar altruistisch in Getränke umgesetzt und mit anderen vertrunken werden kann, die indes sofort wieder angepumpt und vertröstet werden mit der Aussicht auf Lottogewinne, Kredite, Fernseh-Feature-Honorare oder was für Windigkeiten immer, „dann sind wir 86 Mark, dann sind wir klar“ – schöner, farbiger und sympathisierender ist das Tresenwesen Mensch in seinem nicht nachlassenden Durst niemals beschrieben worden.
Gottvoll ist es, so viel Sprach- wie Sprechmacht zu lauschen. Wenn man diese sieben Stunden durchlebt hat, bleibt nur noch zu jauchzen: O Idiotie, o Itzehoe, o Glück, o Schmarrn, o Wonnen!