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Archiv-Artikel

normalzeit HELMUT HÖGE über „Che Guerhard“-Rufe am Brandenburger Tor

Revisited: Frieden als soziale Bewegung

Lehrer sind in diesen Tagen angenehm überrascht über die Friedensaktivitäten und die diesbezügliche Diskussionswut ihrer Schüler. Anders als der ersten, aus den Ostermärschen entstandenden Friedensbewegung fehlt es diesen jedoch an prämedialen Gegnern – wie den ganzen postfaschistischen Eltern, Lehrern und sonstigen Vorgesetzten, die in den 60ern alle heimlich aufseiten der Amis mitkämpften und -litten. Die englische Friedensbewegung hat es da sehr viel leichter, sie wendet sich gegen ihre eigene Labour-Regierung. So ist dort denn auch bereits die Wut der Demonstranten erheblich gestiegen seit den ersten Protesten, während hier erst einmal noch die Freude an der Ausbreitung einer Bewegung und über die damit verbundene Umfunktionierung des Unterrichts anhält.

Ist das überhaupt schon eine soziale Bewegung – so wie sie einmal aus den Ostermärschen entstand? Seinerzeit schrieb der aus dem Osten geflüchtete spätere Psychologieprofessor Peter Brückner: „Seit der Wiederbewaffnung der BRD und dem Antrag auf ein Verbot der KPD (1952) greife ich ab und zu wieder nach Marx … Der Protest holt mich einigermaßen aus der Depolitisierung hervor … 1958/59 deutet sich in den Anti-Atom-Kongressen an der FU Berlin eine Art von Wende an; bildet sich in diesem Sparkassenland ein ‚kollektives Subjekt‘?“

Derzeit kämpfen die letzten linken kollektiven Kräfte eher um ihre Weiterexistenz. Und von einem „Sparkassen“- oder „Gartenzwerg-Land“ drum herum kann auch keine Rede mehr sein, seit das halbe Volk seine Erparnisse in Telekom-Aktien verballert hat und die andere Hälfte von den Bankern Eigentumswohnungen aufgeschwatzt bekam, die sie nun, da sie arbeitslos sind und in ihre Wohnungen niemand einziehen will, nicht mehr abbezahlen können.

Das heißt, die Leute müssen nicht aus ihrer Lethargie und Verhetzung gerissen werden, sondern fühlen sich eher durch den Krieg noch zusätzlich bedroht und bedrückt. Andererseits geht es – wie auch beim Protest gegen den Vietnamkrieg – um die weltweiten Aktivitäten. Und darum, wie es überall den staatstragenden Kräften bzw. Köpfen gelingt, die Bewegung wieder zu reintegrieren. Die damaligen Hauptbremser der sich erfolgreich radikalisierenden SDS-Politik – SHB, Jusos, RCDS, Judos etc. – bezeichnen sich heute witzigerweise alle als „68er“.

Auch unter den jetzigen Jungaktivisten gibt es wieder welche, die bereits Verrat wittern. Das war, als der „rechte“ Ex-taz-Redakteur Ulrich Rulff noch einmal ausgerechnet für die taz zur Feder griff, um der Friedensbewegung einen unterzujubeln. Unter den Protestlern „herrsche eine Geschlossenheit, wie sie Schröder zuletzt als Juso-Vorsitzender bei seinem Besuch der freien Republik Wendland 1980 verspürt haben dürfte“, dichtete Rulff, um dann seine kühne These über „den Vater der Friedensbewegung“ sogleich zu beweisen: Für die Protestler am Brandenburger Tor sei Schröder sogar schon ein „Idol“, sie skandieren „Dranbleiben, Che Guerhard!“.

Dieses teilnehmende Beobachtungsergebnis wurde aber sofort von einer aktiven Teilnehmerin an den Friedensdemos, der 15-jährigen Schülerin des Julius-Stursberg-Gymnasiums, Sophie Kunert, korrigiert: Mitnichten sei Schröder ihr Idol; sie würden seiner Regierung im Gegenteil eher vorwerfen, dass sie den Amis weiterhin die Nutzung ihrer Militärbasen hier erlauben; und das plumpe Wortspiel mit dem Namen des SPD-Kanzlers und des Revolutionärs würden „die meisten Protestierenden zu Recht als einen Affront gegen Che Guevara verstehen“. Ihre Aktivitäten kulminierten bereits in der „zurzeit größten Friedensbewegung in der Geschichte Deutschlands“ – dieser „Aspekt“ werde jedoch von der enttäuschend unsolidarischen taz „kaum gewürdigt“. Stattdessen „müssen wir uns vorwerfen lassen, den Bundeskanzler zu verherrlichen, statt ihn für seine Rentenpolitik zu ohrfeigen. Halten Sie uns wirklich für so doof …“