nebensachen aus sarajevo : Wenn Grenzbeamte zu Automechanikern werden
Vor allem die Kroaten legen jetzt Wert auf europäische Standards. Denn sie wollen ja bald der Europäische Union beitreten. Und das heißt zunächst für Autofahrer, auch tagsüber das Licht einzuschalten, selbst wenn die Sonne vom Himmel brennt. Wer das nicht kapiert, ist schnell 50 Euro los. Denn auch die Strafgelder haben EU-Standard erreicht.
Selbst die Behörden in Bosnien geraten in den Sog des vorauseilenden Gehorsams. Noch vor kurzem hätte ein bosnischer Polizist nach der Radarfalle erst in die Papiere geschaut, um sich zu vergewissern, dass er kein hohes Tier bestraft. Auch für Journalisten war das bequem. Denn nur ein Blick auf den Presseausweis, den die internationalen SFOR-Truppen ausgeben, bewahrte den Verkehrssünder vor weiterem Ungemach. „Ach so, SFOR,“ hieß es mit militärischem Gruß, „Passen Sie das nächste Mal auf, fahren Sie langsamer.“
Doch seit einem Jahr beginnt Bosnien, ein echter Staat zu werden. Die Pressekarte zieht nicht mehr. Und kleine Mängel am Auto werden nicht mehr großzügig übersehen. Seit die Reform der Grenzorgane eingeleitet ist und nun die Beamten aus allen Teilen Bosniens zusammenarbeiten, seit also Bosniaken, Serben und Kroaten gemeinsam an der Grenze stehen und keiner sich vor den anderen eine Blöße geben will, herrscht hier ein strengerer Ton als früher.
So blicken die Zöllner an der kroatisch-bosnischen Grenze an der Straße Split–Sarajevo kritisch auf die Scheinwerfer des Autos. Denn einer funktioniert nicht. Und da es 2 Uhr morgens und stockdunkel ist, wird der Fahrer mitsamt Gefährt an die Straßenseite beordert. Da stellt sich zum Verdruss heraus, dass auch noch die Rücklichter nicht leuchten.
Für den Reporter ist das eine Katastrophe. Denn er ist um 6 Uhr morgens mit einem Team der BBC in Sarajevo verabredet, um gemeinsam Gerüchten über den Aufenthaltsort von Radovan Karadžić nachzugehen. Um pünktlich zu sein, müssen trotz zügiger Fahrt für die rund 240 Kilometer auf kurvigen Bergstraßen mindestens 3,5 Stunden veranschlagt werden. Was tun? Ein Automechaniker ist um die Zeit nicht in Sicht.
Aus dieser Richtung ist Hilfe also nicht zu erwarten. Doch die Dienst habenden Beamten schauen sich nur an. Und schreiten gemeinsam zur Tat. Abwechselnd fertigen sie die ankommenden Autos ab. Die anderen fangen an, am Auto herumzureparieren, holen Werkzeug aus ihren Privatwagen, auch funktionstüchtige Lampen. Schließlich gelingt es Ilja Pasalić, Mladen Živak und Mersad Melić, den vorderen Scheinwerfer wieder funktionsfähig zu machen. Mit dem Rat, das hintere Nebellicht einzuschalten und das Fahrzeug in Sarajevo in die Werkstatt zu bringen, geben sie den Weg frei zur Weiterfahrt.
Man stelle sich in EU-Ländern wie Deutschland, Österreich oder gar der Schweiz vor, dass Grenzbeamte sich nächtens an die Arbeit machen, um das Auto eines Reisenden zu reparieren. Bosnier sind hilfsbereit. Und können improvisieren. Das war schon immer so. Wenn sie diese alte Mentalität in die neue EU-Zeit hinüberretten könnten, würden sie die Kultur Europas sicher positiv bereichern. Doch leider wird es wohl anders kommen, die polizeiliche Unkultur der EU wird vermutlich in Bosnien siegen. Oder doch nicht ganz? Jedenfalls: „Danke Mirsad, Mladen, Ilja.“ Bleibt so, wie ihr seid.
ERICH RATHFELDER