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Archiv-Artikel

nebensachen aus mexiko-stadt Taco-Manie in Mexiko oder Das Auge isst (man) mit

Gastón ist zufrieden. „Am Tag verkaufen wir etwa 120 Kilo Fleisch“. Wie viele Tacos das sind? „Weiß ich auch nicht“, sagt Gastón und grinst breit hinter dem Tresen hervor. „Fünf Tacos al Pastor? Kommt sofort.“ Zwischen ihm und mir stehen große Töpfe und Schalen, in denen Flüssigkeiten in verschiedenen Brauntönen vor sich hinköcheln und gelegentlich große unansehnliche Blasen werfen, zwischendurch kommen kleine Berge nicht genau identifizierbarer Fleischstücke zum Vorschein.

In einem Teller liegen ausgebackene Würste, die kaum mehr als solche zu erkennen sind. „Hier sind die Soßen,“ sagt Gastón, schiebt drei Schälchen über den Tisch, nimmt einen in Fett und Wasser getränkten Lappen und wischt über die heiße Platte. Kaum hat er neues Öl auf das Blech geschüttet, verschwinden die Gäste der Eckkneipe in einer ölig-sauer stinkenden Rauchwolke. „Der Laden läuft gut,“ meint Gastón. Vor acht Jahren habe er die Bude eröffnet, seit vier Jahren rechne sie sich. „Noch ein Bier, Weißer?“

Gastón ist der Chef. Nacht für Nacht steht er im Imbissstand „Tres Coyotes“ und verkauft die gefüllten Tortilla-Fladen: Tacos al Pastor, Tacos de Lengua, Tacos de Tripa, Tacos de Ojo. „Tres Coyotes“, Ecke Carillo Puerto und Miguel Ángel de Quevedo ist zweifellos der beste Tacoladen im Süden von Mexiko-Stadt. Bis morgens um fünf hat er geöffnet. Genau der richtige Ort, um am späten Abend noch einen Snack zu nehmen. Für viele, die nachts unterwegs sind, ist der Besuch eines Imbisses längst zum Ritual zwischen Party und Bett geworden.

Was nicht heißt, dass man tagsüber auf die gekochten, gegrillten oder gebratenen Wurst- und Fleischberge verzichten würde. Fast überall stehen die kleinen dampfenden Buden mit den gefüllten Maisfladen. Rund 100.000 solcher Imbissläden soll es bereits 1999 in der Stadt gegeben haben, behauptet das staatliche Statistische Institut. 100.000 mal 120 Kilo: Täglich 12.000 Tonnen Schnitzel, Steak, Leber, Zunge, Hirn, Eingeweide und mehr verdrücken die rund 20 Millionen Hauptstädter.

Und das mit den entsprechenden Folgen. Mexiko liegt nach den USA auf Platz zwei der Länder mit den größten Fettleibigkeitsproblemen. Mit Kritik sollte man trotzdem vorsichtig sein: Jüngst hatte die Regierung beantragt, dass die mexikanische Küche zum Weltkulturerbe ernannt wird. Allerdings ohne Erfolg.

„Wir sind alle eine große Familie,“ sagt Gastón und zeigt auf seine Kollegen Leonardo, Ángel, Luis Álvarez und Pablo. Zählt man die Früh- und die Spätschicht zusammen, so arbeiten elf Männer im „Tres Coyotes“, und alle ernähren Frau und Kinder. „Noch ein paar al Pastor?“ fragt der 30-Jährige. Dann hat er eine Idee, die ihn kaum mehr loslässt. „Hey Weißer, was hältst du davon, wenn wir alle nach Berlin gehen und dort einen Taco-Laden aufmachen?“ Noch bin ich mir nicht sicher, ob mit Kuhaugen gefüllte Maisfladen dort tatsächlich eine Chance hätten. Aber wie sollte man das Gastón erklären?

WOLF-DIETER VOGEL