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Archiv-Artikel

nebensachen aus kabul Vorbild Bollywood: Stretch mit Spielzeug, Skorpionen und Totenköpfen

Die heißesten Hosen der Stadt

Sayed Haschmaf Perdes vertickt die heißesten Hosen der Stadt. Zwischen rosafarbenen Strampelanzügen mit grünen Leopardenflecken und Schuhen, Größe 26, hat der 21-Jährige mit dem Künstlernamen Perdis Khan – Perdis der Große – auch das, was die Frauen wünschen: knappe, kaum den Bauchnabel bedeckende T-Shirts mit weitem Ausschnitt und Plüschbommeln an den Ärmeln. Aber vor allem hautenge Jeans mit weitem Schlag. Damit die Beinkleider noch enger sitzen, sind sie aus Stretchmaterial gearbeitet und mit Strass und Stickereien verziert. Aber der absolute Straßenfeger zurzeit, sagt Perdis Khan, sind die Modelle mit silberfarben aufgesprühtem Spielzeug, Skorpionen oder Totenköpfen.

Die Mode ändert sich schnell, und was gerade geht, richtet sich vor allem nach den Hindi-Filmen. „Die Mädchen kommen mit Bildern von ihren Bollywood-Stars zu mir“, sagt er. „Und ich schicke dann eine Bestellung nach Pakistan. Wenn ich die Sachen an die anderen Händler weitergebe, verkaufen wir mindestens 500 Stück am Tag.“

Perdis der Große und die anderen Händler auf dem Jamhuriat-Bazar in der Kabuler City sind typisch für die jungen Leute in der afghanischen Hauptstadt. Perdis war Flüchtling in Pakistan. Weil er kaum in der Schule war, schreibt er mit Mühe, aber für den Abend lädt er uns zu einer Flasche Whiskey ein.

Derweil sitzen in den Kabuler Restaurants Männer und Frauen noch immer in getrennten Räumen, und ein Mann kann nur mit seiner Ehefrau im Frauenraum essen, wenn dort gerade keine anderen Frauen sitzen. Doch der Eindruck von der unerschütterbaren Macht der Religion täuscht. Knapp zwei Jahre nach dem Sturz der Taliban und der Übernahme der vor allem in den ländlichen Regionen von den Mudschaheddin geprägten Regierung ist der westliche Lebensstil in Afghanistan überall auf dem Vormarsch. Viele Frauen in der Hauptstadt haben ihre Burka durch ein knappes Kopftuch ersetzt. Die Kabuler Männerwelt hat vor allem ein Thema: die chinesischen und aserbeidschanischen Prostituierten in den ausländischen Restaurants.

Natürlich sind es auch wieder die Bollywood-Filme, die die Gemüter erhitzen. Im Januar hatte der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, Fazl Hadi Shinwari, versucht, die Ausstrahlung des Kabel-TVs zu stoppen. Das Innenministerium verhinderte das, und die Leute konnten weiter ihre geliebten Filme im indischen Fernsehen gucken. Ende August hat das Innenministerium gedroht, Fernseher in den Eisdielen zu verbieten. Minister Aliahmad Jalali hat in den USA gelebt und ist ein erklärter Reformer. Viele Eltern hätten sich beschwert, hieß es zur Begründung im staatlichen Fernsehen, dass ihre Jungen anstatt in der Schule in den Eisdielen säßen und Bollywood-Filme guckten.

Doch verbieten können wird sie am Ende niemand. Vor allem nicht im Laden „Mirwais Super-Eis“ im Kabuler Vorort Alaudin. Es ist Nachmittag um fünf und der Laden gerammelt voll. Alle starren gebannt auf die Flimmerkiste, und gefragt, was so faszinierend sei, sagt der 18-jährige Atik Faizi: „Die Mädchen.“ Er meint diejenigen, die die Vorlage für Perdis Khans heiße Hosen geben und nichts weiter tun, als in ihnen über den Bildschirm zu tanzen. PETER BÖHM