nebensachen aus buenos aires : Rauchende Colts, echte Gauner und falsche Banditen in Patagonien
Es ist Hochsommer auf der Südhalbkugel und in Argentinien ist Ferienzeit. Die Hauptstadtbewohner flüchten aus dem glühenden Moloch ans Meer oder in die Anden, während bleichgesichtige Europäer auf der Suche nach Sonne nach Buenos Aires drängen.
Der Argentinier und der Tourist sind eine Paarung, die nicht immer gut zusammenpasst. Für den Touristen stehen in der Fußgängerzone Florida Einkaufsberater bereit. Wer im Schaufenster eines Sportgeschäfts nach Schuhen schaut, hat schon verloren. „Ich kenne einen Ort, wo es all das zum halben Preis gibt“, tönt eine Männerstimme aus dem Hinterhalt. Wenn man sich umdreht, blickt man einem Herrn um die 50 in die Augen, der einem als Beweis seiner Vertrauenswürdigkeit einen selbst gebastelten Lichtbildausweis unter die Nase hält. „Perdon, mein Name ist José, ich bin Einkaufsberater.“
In der Regel schütteln weit gereiste Europäer hektisch mit den Kopf, murmeln etwas von „no, gracias“ und ziehen weiter. Wahrscheinlich verstehen sie nicht, wozu sie einen Einkaufsberater bräuchten.
Die Zeitung La Nación hat schon einige von ihnen porträtiert und als Entrepreneure in der Krise gefeiert. Aber auch der Argentinier schüttelt schon mal den Kopf über diese Europäer.
Vor allem über den anti-touristischen Europäer. Dieser ist immer auf der Suche nach Autenzität. Anstatt zum Tango geht er zur Demo.
Wöchentlich vermelden die Zeitungen, welche Touristen wieder bei den Piquetero-Märschen gesichtet wurden. Die konservative Nación schüttelt den Kopf, der liberale Clarín freut sich. Auf den Fotos sieht man dann Elke, Herbert, Lars und Jesper, wie sie sich angestrengt lächelnd vor der roten Che-Guevara-Fahne neben vermummten Muskelprotzen mit Knüppeln fotografieren lassen. Der soziale Protest, einst mediale Sensation, ist heute Touristenattraktion.
Zum Glück gibt es da noch andere Gesetzlose, auf deren Spuren man wandern kann. Robert Lerroy Parker und Harry Logabaugh, besser bekannt als Butch Cassidy und Sundance Kid, residierten ab 1901 nahe der Ortschaft Trevelin in Patagonien. Dort, fast am Ende der Welt, glaubten sie sich sicher vor ihren Verfolgern.
Und die endlose Weite schien ihnen behagt zu haben. „Dieser Ort der Welt erschien mir gut und so richtete ich mich hier ein. Und jeden Tag gefällt es mir hier besser. Ich habe 300 Kühe und 28 Pferde, ein gutes Haus mit vier Zimmern und ein paar Hühner. Das Einzige, was mir fehlt, ist eine Köchin“, notierte Butch Cassidy damals.
Heute zieht es Banditenpilgerer aus aller Herren Länder nach Trevelin. Regelmäßig wird dort ein Banditenkongress abgehalten. Doch jetzt haben sich die lokalen Touristenverwalter etwas Besonderes einfallen lassen, um noch mehr Reisende in die Gegend zu locken: Sie lassen den Patagonien-Express überfallen. Der Zug, gezogen von einer alten Henschel-Dampflok, verkehrt in der Hauptsaison täglich zwischen Nahuelpán und Esquel. Die Fahrt dauert 35 Minuten und kostet umgerechnet 8 Euro. Es geht durch eine grüne Hügellandschaft, vorbei an Kuhweiden, einsamen Farmen und blauen Bächen.
Doch die Idylle trügt. Auf halber Strecke galoppieren Cowboys, die es in dieser Gegend nie gegeben hat, mit rauchenden Colts Richtung Zug, sie springen auf, zwingen den Lokführer zum Halten und rauben die Fahrgäste aus. Wenn dann alles vorbei ist, klatschen die Reisenden. Sie hatten die Fahrt ja auch inklusive Überfall gekauft.
INGO MALCHER