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Archiv-Artikel

nebensachen aus brandenburg (teil 11) Öl und Ödnis: die Prignitz

In Brandenburg wird am Sonntag ein neuer Landtag gewählt. Die taz stellt bis zur Wahl die 14 Brandenburger Landkreise vor. Heute: Prignitz

Brandenburg hat viele Gesichter: im Süden das vom Braunkohleabbau zerfurchte, im Osten das grenzlandige, in der Mitte das zersiedelte, und im Nordwesten das norddeutsche. Faulenzen in Lenzen, einem der nordwestlichsten Orte Brandenburgs – das ist eine Reise in eine andere Region. Hier, im Grenzgebiet zum niedersächsischen Wendland, prägt die Elbe mit ihren weiten Überschwemmungswiesen die Landschaft, die Häuser sind im norddeutschen Stil – rote Klinker, weiße Fenster – errichtet, und die Mundart erinnert mehr an das breite Mecklenburgische als an das dumpfe Berlinerisch, das in weiten Teilen Brandenburgs gepflegt wird. Die Prignitz ist eine Region für sich.

Sogar das Klima der Prignitz unterscheidet sich deutlich von dem der (süd-)östlichen Regionen Brandenburgs, die kontinental geprägt sind. In der Prignitz ist es deutlich maritimer: Die Winter sind milder, die Sommer kühler, es gibt mehr Regen und mehr Wind. Und wo Wind ist, sind Windräder – jenes Versprechen, dass weite Wiesen nicht nur für Rinderzüchter und Reiseführer ihren wirtschaftlichen Reiz haben.

Allzu viel hat das in der Prignitz nicht gebracht. Das merkte auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, als er im August in Wittenberge einen neuen Bahnhof einweihte. Statt sich über eine bessere Verbindung nach Hamburg und Berlin zu freuen, schleuderten die von Hartz IV aufgebrachten Wittenberger Eier auf den Kanzler.

Überhaupt sind die Wittenberger ein rebellisches Völkchen. Als die weithin sichtbare Werksuhr der Wittenberger Nähmaschinenfabrik, die nach der Wende stillgelegt worden war, eines Tages stehen blieb, klingelten im Rathaus die Telefone heiß. Aufgebrachte Büger wollten wissen, ob denn nun in ihrer Stadt – die immerhin auf ein Call Center und ein Eisenbahnausbesserungswerk verweisen kann – die Lichter ausgehen. Der Bürgermeister sah sich gezwungen einzugreifen und ließ das Uhrwerk reparieren. Das Signal: Und sie bewegt sich doch!

Auch die Prignitzer Eisenbahngesellschaft bewegt sich – und zwar mit umweltfreundlichem Pflanzenöl. Als erstes Bahnunternehmen Deutschlands betreibt die private Firma seit diesem Frühjahr ihre Lokomotiven mit Soja- oder Rapsöl. Die Begründung: Das Pflanzenöl ist problemlos und preiswert lagerfähig, und die Prignitzer Eisenbahner sind so unabhängig vom Tankstellennetz der Deutschen Bahn AG.

RICHARD ROTHER

Morgen: Ostprignitz-Ruppin