nachgefragt : Pubertät ist ein großes Geheimnis – auch für Ärzte
Die schweren Jahre
Manchmal sind Ärzte genauso ratlos wie Eltern. Pubertierende Jugendliche sind einer dieser Fälle: Niemand versteht ihr Verhalten. Selbst Kinderärzte würden oft nicht erkennen, dass hinter dem scheinbar unverständlichen Verhalten Jugendlicher manchmal eine ziemlich ernsthafte entwicklungsbedingte Krise stecke, sagt Bernward Fröhlingsdorf, Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Bremen und seit vielen Jahren mit den Problemen der Kinder und Jugendlichen beschäftigt: „Jugendliche waren medizinisch gesehen eine Randgruppe.“
Gewalttätigkeit, Essstörungen, Depressionen – die häufig beobachteten Symptome würden meistens als altersbedingte Schwierigkeiten abgetan, klagt Fröhlingsdorf. Die so genannten Adoleszentenkrisen seien jedoch nach den Unfällen die zweithäufigste Todesursache unter Heranwachsenden. 450 Jugendliche nahmen sich allein im vergangenen Jahr in Deutschland das Leben.
Fröhlingsdorf führt auch die Jugendkriminalität und insbesondere Gewalttätigkeiten der Heranwachsenden zum großen Teil auf deren Pubertäts-Krisen zurück. Die Jugendlichen befänden sich in einer Phase zwischen Erwachsensein und Kindheit und wüssten noch nicht genau, welcher Gruppe sie sich zuordnen sollten, sagt Franz Resch, ärztlicher Direktor der Abteilung Kinder- und Jugend-Psychiatrie der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg. Denn die physische Entwicklung verlaufe meist schneller als die psychische, so dass die Jugendlichen in einem leeren Raum schwebten.
Fachleute weisen darauf hin, dass die Zahl der Jugendlichen mit Adoleszentenkrisen in den letzten Jahren noch zugenommen habe. Ursache seien vor allem die immer häufiger zerbrechenden Familien – von „broken home“ spricht die Fachliteratur. „Familien geben den Jugendlichen keinen Rückhalt mehr“, sagt Fröhlingsdorf. Auch wenn die Familie nicht zerbreche, herrsche oftmals ein erhebliches Kommunikationsdefizit. In der Ein-Kind-Familie sei das sprachliche Miteinander nicht mehr so ausgeprägt wie in den früher üblichen Großfamilien. Auch habe das Interesse der Eltern an den Kindern nachgelassen, was meist auf schwere soziale Umstände der Eltern, wie Arbeitslosigkeit, zurückzuführen sei.
Fröhlingsdorf ist der Ansicht, dass dieses Kommunikationsleck auch von den Kinder- und Jugendärzten aufgefangen werden müsse. Dieses Thema war einer der Schwerpunkte des „Kongresses für Jugendmedizin“ am letzten Wochenende in Weimar. Solche Kongresse finden seit etwa zehn Jahren mehrmals pro Jahr statt und sollen vor allem die Sensibilität der Ärzte für die Probleme der Jugendlichen fördern, damit diese Krisen frühzeitig erkennen können.
Noch in einem weiteren Punkt waren sich die Kinder-MedizinerInnen am Wochenende einig: Jugendliche und ihre Ärzte müssten mehr miteinander reden. Ärzte würden in Zukunft auch pädagogische Aufgaben übernehmen müssen, sagt Fröhlingsdorf. Erste Verbesserungen hat der Bremer Kinderarzt schon ausgemacht: Immer häufiger sprächen die Heranwachsenden mit ihrem Arzt auch über ihre Probleme, weiß Fröhlingsdorf aus eigener Praxis: „Ein großer Teil meiner Patienten sind unter 18-Jährige, die wissen: Sie haben einen Ansprechpartner.“ gk