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Archiv-Artikel

merkel und die türkei Ressentiments statt Programm

Schlimmer hätte es für Angela Merkel gar nicht kommen können. Gestern war sogar CSU-Chef Edmund Stoiber voll des Lobes für seine Intimfeindin an der Spitze der Schwesterpartei. Dass nun auch Merkel mit einer Unterschriftensammlung gegen den türkischen EU-Beitritt liebäugelt, sei eine „vernünftige Idee“, befand der Bayer generös.

KOMMENTAR VON RALPH BOLLMANN

Tatsächlich hätte Merkel kaum ein besseres Symbol dafür finden können, dass sie mit der programmatischen Erneuerung der CDU nicht wirklich vorangekommen ist. Mit der Idee einer Unterschriftenaktion greift sie ausgerechnet auf das Jahr 1999 zurück. Damals hatte die Union die Macht im Bund gerade verloren, nach 16 Jahren Helmut Kohl dümpelte sie orientierungslos dahin. Mit dem bewussten Appell ans rechte Ressentiment schaffte es der Hesse Roland Koch, eine Wahl zu gewinnen und seiner Partei neues Selbstbewusstsein einzuhauchen.

Seither hat Angela Merkel Kommissionen eingesetzt und Reformen vorgeschlagen, Parteitagsbeschlüsse herbeigeführt und sich auf Reisen als Außenpolitikerin versucht. Nichts davon ist ihr wirklich geglückt. Auf sozialpolitischem Gebiet hat sie auf den Rat der Experten gehört und ein Programm durchgepaukt, mit dem sie bei der FDP und vielleicht sogar bei einem Teil der Grünen Sympathien finden kann. Die Klientel einer Volkspartei dagegen konnte den Vorschlägen nichts abgewinnen. Nach sechs Jahren in der Opposition weiß die Union noch immer nicht, ob sie Rot-Grün in der Sozialpolitik lieber von rechts oder von links bekämpfen soll. Auf dem Gebiet der Außenpolitik sieht die Bilanz indes nicht besser aus. Mit bedingungslosen Unterwerfungsgesten gegenüber den USA hat sich Merkel in den Augen der meisten Wähler auch auf diesem Feld diskreditiert.

Der Versuch, mit einer Kampagne gegen den türkischen EU-Beitritt über die eigene Orientierungslosigkeit hinwegzutäuschen, macht die Sache nicht besser. Natürlich darf man über den EU-Beitritt der Türkei streiten – auch wenn Außenminister Joschka Fischer meint, diese Frage sei „kein Gegenstand innerstaatlicher Gesetzgebung“ und damit dem Parteienstreit entzogen. Aber eine Unterschriftenaktion ist dafür ein denkbar ungeeignetes Mittel. Parteien werben um Wählerstimmen, nicht um Unterschriften. Wann immer eine Partei auf solche außerparlamentarischen Mittel zurückgreift, ist es um sie selbst nicht gut bestellt.