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Archiv-Artikel

mein islam Mesut Özdemir: „Schwule und Frauen zu diskriminieren hat mit dem Islam nichts zu tun“

Mesut Özdemir (31) ist gläubiger Muslim, schwul und seit kurzem Geschäftsführer eines Umstandsmodengeschäfts. Er ist in Bochum aufgewachsen und lebt seit neun Jahren in Berlin. Mit der taz sprach er im Café Maibach am Nollendorfplatz.

„Meine Eltern haben mir von klein auf beigebracht: Der Islam ist unsere Religion, es gibt bestimmte Pflichten. Was du daraus machst, ist aber deine Sache. Ich bin nicht strenggläubig. Ich glaube an Gott und versuche, bestimmte Regeln einzuhalten. Wenn meine Arbeit es zulässt, bete ich fünfmal am Tag. Zurzeit geht das aber nur an meinen freien Tagen. Fasten kann ich aus gesundheitlichen Gründen nicht. Der Islam ist die einzige Religion, mit der ich zufrieden sein kann. Sein Urprinzip ist Humanität: Liebe, Liebe, Liebe. Was heute teilweise aus dem Islam gemacht wird, finde ich nicht gut. Schwule und Frauen zu diskriminieren hat mit dem Islam nichts zu tun. Da haben einige kluge Männer einen Weg gefunden, wie sie Macht über andere ausüben können.

Ich selbst wurde bisher nur ein einziges Mal diskriminiert: Als ich das erste Mal in Berlin in eine Moschee in Kreuzberg gehen wollte. Ein Besucher sagte, das sei ein Gotteshaus, da könne man nicht einfach so rein. „Wenn man schwul ist“, meinte er. Gesagt hat er es aber nicht direkt. Er hat mich wohl von weitem mit zwei Freunden beobachtet, vielleicht hat er es auch an meinem Gang gesehen. Seitdem war ich nicht mehr dort. Meine Stammmoschee ist die am Columbiadamm.

Mittlerweile suche ich das Gespräch mit Imamen nicht mehr so, weil ich weiß, dass sie nicht so tolerant sein können wie sie wollen. Einige meinen, dass ich in die Moschee gehe, weil ich ein schlechtes Gewissen hätte, dass ich in Sünde lebe, also schwul bin. Dem ist aber nicht so. Im Koran gibt es kein eindeutiges Verbot der schwulen Liebe.

Meine Eltern sind Sunniten, ich bezeichne mich einfach als Muslim. Religion ist für mich nicht nur Glauben, sondern Hingabe. Nicht nur etwas zu glauben, was da geschrieben steht, sondern sich dem mit Geist, Seele und Körper hinzugeben, ohne andere zu verletzen oder ihre Persönlichkeit einzuschränken und ohne die eigene Persönlichkeit einzuschränken. Sich selbst finden, wenn man das kann.“

PROTOKOLL: OLIVER MARQUART