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Interview ohne kritische Fragen

■ betr.: „Ein russisch-sowjetisches System“, taz.bremen vom 24. 12. 13

Am vorvergangenen Wochenende wurde bekannt, dass Hans-Dietrich Genscher Michail Chodorkowski nicht nur aus dem Gefängnis, sondern auch mit einem Privatjet aus Russland rausgeholt hat. Weil der Ex-Außenminister der Bundesrepublik nun dafür überall gelobt wird, muss anscheinend die Bremer Bundestagsabgeordnete der Grünen, Marieluise Beck, via Facebook auch ganz schnell noch der Welt mitteilen, dass sie sich ja ebenfalls schon seit acht Jahren um seine Freilassung bemüht hat.

Stolz darf sie in der taz.bremen am Heiligabend mitteilen, dass sie den russischen Ex-Oligarchen, der damals durch offenbar merkwürdige Geschäfte mit ehemaligem russischem Staatsbesitz Milliarden verdient haben soll, am Samstag persönlich getroffen hat. Richtig willkommen geheißen werden wohl nur jene Flüchtlinge, die die Binnenkonjunktur in Deutschland ankurbeln können. Der Freigelassene soll laut focus.de ja noch immer gut 17 Millionen auf ein Offshore-Konto eingelagert haben.

Chodorkowski residiert übrigens laut Medienberichten in der noblen Berliner Flüchtlingsunterkunft Hotel Adlon. Es wäre schön, würde Beck auch jene Flüchtlinge so überschwänglich begrüßen, die nicht so prominent sind und so viel Geld haben, die beispielsweise in unserer Hansestadt auch in Containern untergebracht werden. Wenn sie es denn überhaupt schaffen, nach Deutschland zu kommen. Denn viele Flüchtlinge erreichen gar nicht erst die europäischen Außengrenzen. Auch dank rot-grüner Bremer Wirtschaftshilfe für hiesige Unternehmen, die der EU-Grenzschutzagentur Frontex zuarbeiten. Das kleinste Bundesland fördert mit jährlich 250.000 Euro diese Kooperation.

Die Zusammenarbeit erfolgt zum Beispiel darüber, dass Frontex über Satelliten Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer schneller erkennt und abwehrt. Über 300 Personen ertranken Anfang Oktober 2013 bei ihrer Flucht vor Lampedusa. Was unternimmt Frau Beck eigentlich, damit ihre eigenen grünen SenatorInnen sich endlich darum bemühen, dass die Bremer Wirtschaftsförderung für Frontex-Unternehmen einstellt wird?

Um es klar zu stellen: Die Umstände der Verurteilung Chodorkowskis sind deutlich zu kritisieren. Es ist nicht gerade rechtsstaatlich, wenn ein „lupenreiner Demokrat“ allein entscheidet, wer ins Gefängnis kommt und wer freigelassen wird. Ich hätte mich trotzdem gefreut, wenn die taz der grünen Bundestagsabgeordneten kritischere Fragen gestellt hätte.

 MICHAEL HORN, Bremen