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Archiv-Artikel

kuckensema „Lücke im System“ von Romed Wyder / schwyzer Verschwörung

Verschwörungstheorien haben immer auch etwas Tröstliches an sich. Denn in ihnen wird ja behauptet, dass dem alltäglichen Chaos entgegen allem Anschein doch Wille und Sinn zugrunde liegen. Alles wird von dunklen Kräften gelenkt, denen man nur auf die Spur zu kommen braucht, um die Geschehnisse zum Guten zu wenden. Dies passiert zwar nie, aber der aufrechte Kämpfer und ewige Verlierer ist ja auch eine sehr romantische Figur. Verschwörungstheorien sind also ins negative gewendete Allmachtsfantasien. In Romed Wyders Film „Lücke im System“ sieht man in den Außenaufnahmen immer die gleichen Komparsen in den Straßen herumstehen. Besonders eine bürgerlich gekleideter Frau mit Hündchen fällt auf, die ständig scheinbar ungeschickt in Richtung Kamera blickt. Lange rätselt man, ob dies ein Regiefehler ist, oder ob der Protagonist auf eine in Zeiten der allgegenwärtigen Videoüberwachung fast schon rührend altmodische Art und Weise beschattet wird. Durch solche Irritationen wird man in diesem Film ständig verunsichert. Ist die Welt, die er beschreibt ein offenes System, in dem Passanten einfach nur Passanten sind, oder ein geschlossenes, das von Zeichen wimmelt, die auf eine alles beherrschende Verschwörung hinweisen?

Die „Lücke im System“ glaubt Alex gefunden zu haben - ein junger Schweizer Globalisierungsgegner, der mit seiner Gruppe versucht, einen Virus in das Computersystem einer internationalen Bank einzuschleusen, mit dem sie die Absage eines Weltwirtschaftsgipfels erzwingen wollen. Die Kamera zeigt alles aus seiner Perspektive, blickt ihm oft buchstäblich über die Schulter, und so lernt man ihn, seine Gruppe, die Freundin und den Plan im ersten Akt auf eine recht behäbige Art und Weise kennen. Doch plötzlich bricht dieser Erzählstrang ab, der Zuschauer findet sich mit Alex zusammen im Krankenhaus wieder, und so wie er nach einem Unfall eine Gedächtnislücke von etwa 24 Stunden hat, so werden auch uns wichtige Informationen vorenthalten. Zusammen mit Alex rätseln wir fast bis zum Ende des Films, ob er Teil einer riesigen Manipulation ist, oder es ihm vor seinem Unfall gelang, den Virus frei zusetzten, und er so immer noch eine Chance gegen das System hat. Im Krankenhaus bieten zwei Ärztinnen Alex eine noch unerprobte Therapie an, durch die seinem Amnesie aufgehoben werden könnte, aber unter ihr verwandeln sich seine Erinnerungen in surreale Traumsequenzen, sodass die Gefahr besteht, dass er immer mehr in eine paranoide Wahnwelt abdriftet. Ist er, wenn er aufwacht, wirklich wach oder träumt er nur, er wäre aufgewacht? Dieser halluzinogene Mittelteil seines Films ist dem jungen Schweizer Regisseur Wyder am besten gelungen. Mit ein paar visuellen Leitmotiven schafft er eine in sich geschlossene Wahnwelt, in der Alex etwa immer wieder den gleichen Duschvorhang aufziehen muss. Manchmal droht da das Murmeltier zu grüßen, manchmal erkennt auch ein paar Tricks aus „Momento“ wieder.

Leider gibt es aber auch eine kurze Sequenz, in der Wyder die Perspektive wechselt und plötzlich dann doch als der allwissende Erzähler eindeutig zeigt, wie korrupt die Welt doch ist. Im letzten Akt wird der Film dann zum altbewährten Politthriller a la Costa Gavras mit dunklen Gestalten in schnellen Autos und mit Polizeimarken, die kurzen Prozess mit den Globalisierungsgegner machen. Wenn schließlich alles zur Entlarvung der großen Verschwörung zusammenführt, kommt offensichtlich die Gesinnung den Filmmachern in die Quere, und während vorher so subtil und vieldeutig erzählt wurde, ist das Finale enttäuschend naiv und plakativ. Die Geschichte soll auf „wahren Begebenheiten“ beruhen, die aber aus „rechtliche Gründen und um die Zeugen zu schützen“ so verändert wurden, dass von der angestrebten politischen Brisanz des Film kaum etwas übrig bleibt. Wilfried Hippen