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Archiv-Artikel

kuckensema „Das Cabinet des Dr. Caligari“- ein Stummfilm orchestral

„Du mußt Caligari werden“ war die mysteriöse Botschaft, die 1920 plötzlich überall in Berlin auf Plakaten auftauchte, und auch für diese damals revolutionäre Werbekampagne ist der Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“ in die Kulturgeschichte eingegangen. Er war der erste radikal expressionistische Film, in dem jede Perspektive verzehrt, jede Geste grotesk, jeder Stimmung hysterisch ist. Und in dem das Design souverän über die Dramaturgie triumphierte. „Der Film muss Graphik werden“ forderte damals der Dekorateur Hermann Warm. In seinen gemalten Kulissen waren alle Linien schräg, alle Wände schief, ja selbst die Zwischentitel schienen so verwirrt über die Leinwand zu wanken, als wären sie irre geworden. Wiene und seine Schauspieler mussten sich wohl oder übel dieser Ästhetik anpassen, und so wurden die Stars des damaligen Kinos Conrad Veidt, Werner Kraus und Lil Dagover so extrem geschminkt, dass man schon eher von bemalt sprechen konnte, und ihr extrem stilisiertes Spiel ähnelte eher der Pantomime.

Erzählt wird die Geschichte des Somnambulen Cesare, der auf Jahrmärkten in Trance die Zukunft vorhersagt, und dem der wahnsinnige Schausteller Dr. Caligari nachts seinen Willen aufzwingt, sodass der Schlafwandler die geheimnisvollen Morde begehen muss, die das Städtchen Holstenwall in Angst und Schrecken versetzt. Auch die von Wiene gegen den Willen der Autoren Hans Janowitz und Carl Mayer dazugefügte Rahmenhandlung, die alles nur als die Vision eines Wahnsinnigen erscheinen und so letztlich doch die Vernunft siegen läßt, konnte die erschreckende Wirkung des Films auf die damaligen Zuschauer kaum mindern. „Caligari“ wurde ein internationaler Erfolg, und Béla Balázs forderte für ihn „in der Geschichte der Filmkunst ein eigenes Kapitel.“. Siegfried Kracauer nannte sein Opus Magnum nicht umsonst „Von Caligari zu Hitle“`, und schrieb darin: „Caligari verkörpert jene schrankenlosen, die Macht um ihrer selbst willen vergötternden Gewalten, die sich zur Befriedigung ihrer Herrschgelüste über alle menschlichen Rechte und Werte rücksichtslos hinwegsetzen“. Die Nationalsozialisten erwiesen dem Film die Ehre, ihn 1937 mit in ihre Ausstellung mit „entarteter Kunst“ aufzunehmen, und auch wenn der extrem puristische Ansatz von „Caligari“ sich als ästhetische Sackgasse entpuppte, kann man seinen Einfluss im amerikanischen Horrorfilm der 30er und im film noir der 40er Jahre deutlich erkennen.

An diesem Wochenende wird „Das Cabinet des Dr. Caligari“ im Kino 46 aufgeführt, und dazu spielt live das Landesjugendorchester Bremen. Dieses hat sich in den letzten Jahren mit Begleitmusiken von Stummfilmen einen Namen gemacht. Zuerst erarbeitete es 1997 die Originalmusik zu dem Scherenschnittfilm „Die Abenteuer des Prinz Achmed“ von Lotte Reininger, und dann begleiteten die Musiker Klassiker wie Buster Keatons „Der General“, Chaplins „Circus“ und „Goldrausch“, Langs „Metropolis“ und 2005 Hitchcocks Frühwerk „Der Mieter“. Die letzten Jahre wurden diese orchestralen Stummfilmvorführungen in der Glocke veranstaltet, doch dafür ist nun kein Geld mehr da, und so müssen im kleinen Kino 46 wieder drei Stuhlreihen abmontiert werden, damit die 24 - 30 Musiker vor der Leinwand Platz finden. Es gab zwar eine eigens für Caligari komponierte Filmmusik von Guiseppe Becce, doch diese ist nicht erhalten. Becce bezeichnete aber einige Stücke aus seinem Repertoire als zur Caligari-Musik zugehörig, und diese arrangierten Lothar Prox und Emil Gerhardt zu einer „restaurierten“ Filmmusik, die 1985 auf der Berlinale uraufgeführt wurde. Und diese wird das Landesjugendorchester Bremen unter der Leitung von Stefan Geiger spielen. Wilfried Hippen