kuckensema: auf bremens leinwänden : Werner Herzogs „The White Diamond“ / Ein aufgeblasener Zeppelinfilm
Als der Hollywoodregisseur Robert Wise 1975 seinen Katastrophenfilm über das Zeppelinunglück von Lakehurst in die Kinos brachte, schrieb die scharfzüngige Kritikerin Pauline Kael darüber: „Die Hindenburg und Wise – zwei Gasballone treffen sich!“ Leider kann man das Gleiche über Werner Herzogs „The White Diamond“ sagen, denn auch dies ist ein aufgeblasener Film über ein Luftschiff.
In der kurzen Einführung über die Geschichte des Fliegens zeigt Herzog sogar die historischen Aufnahmen vom Absturz des berühmten Luftschiffs im Jahr 1937, und schon hier ist sein Kommentar im off so schicksalsschwanger, dass er unfreiwillig komisch wirkt. Der Hamburger Filmemacher Carsten Knoop hat vor kurzem eine Parodie auf Herzogs Stil mit dem Titel „Die Kalte Wut des Makalu“ gedreht, die aber angesichts des „White Diamond“ fast überflüssig geworden ist, denn Herzog parodiert sich hier mindestens so enthüllend selber.
In „Fitzcarraldo“ ließ er ein Holzschiff über einen Schlammhügel schleppen, in „White Diamond“ soll ein Luftschiff über den riesigen Kaieteur-Wasserfall im Urwald von Guyana schweben. Im Grunde erzählt Herzog immer die gleiche Geschichte vom besessenen Helden, der wie ein heiliger Narr auf seine persönliche Gralssuche geht – und mit dem englischen Ingenieur Dr. Graham Dorrington scheint er wieder einen davon gefunden zu haben. Schon als Kind hantierte dieser so unglücklich mit einer selbstgebauten Rakete, dass sie ihm drei Finger seiner linken Hand abriss. Er konstruierte dann selber einen mit Helium gefüllten Mini-Zeppelin, mit dem er über Urwälder fliegen und Baumkronen untersuchen wollte. Aber vor zwölf Jahren verunglückte der berühmten Tierfilmer Dieter Plage in einem seiner Flugschiff tödlich im Dschungel von Sumatra, und wenn man in die leuchtenden Augen von Dorrington sieht, merkt man schnell, dass man es hier mit einem flugsüchtigen Pechvogel zu tun hat.
Mit solch einem muss Herzog natürlich eine Expedition in den südamerikanischen Urwald machen, und je unausgereifter das neukonstruierte Luftschiff dabei ist, umso besser. So gibt es auch viele Pannen bei den ersten Flugversuchen des Ballons, und Herzog will natürlich unbedingt bei ersten Flug mit seiner Kamera im Ballon sitzen.
Es gibt darüber ein kleines Streitgespräch – man erinnert sich an die berühmten Wutausbrüche von Kinski – aber Dorrington ist eher ein sanfter Zauderer und Herzog bekommt seinen Willen. Aber leider nicht den Absturz, auf den er klammheimlich gesetzt hatte. Denn Dorrington berappelt sich, die Maschine fliegt in schönen, aber auch schnell langweiligen Bildern über die Baumwipfel, deren Untersuchung, die ja eigentlich das Ziel der Expedition gewesen war, niemanden mehr zu interessieren scheint. Auch der spektakuläre Flug über den Wasserfall fällt aus, weil er sich als selbstmörderisch herausstellt.
Und nun steht Werner Herzog im Urwald ohne seinen hochdramatischen letzten Akt. Da muss er halt tricksen: Zum einen lässt er Dorrington mit Tränen in den Augen von der Katastrophe in Sumatra erzählen, zum anderen findet er in dem eingeborenen Handlanger Marc Anthony noch einen Ersatzhelden, der schwer bekifft poetische Sätze über die Schönheit des Zeppelins, den er den „weißen Diamanten“ nennt, absondert. In einer schönen Einstellung sieht man die riesigen Wasserfälle in einem einzigen Wassertropfen gespiegelt, aber Herzog muss natürlich noch einen draufsetzten, und sorgt mit der Frage „Marc Anthony, sehen Sie ein ganzes Universum in diesem Wassertropfen?“ für den größten Lacher des Films.
Und weil der Sohn von Marc Anthony so gerne tanzt, sieht man ihn am Rande des Wasserfalls noch bei der Imitation von Michael Jacksons „Moonwalk“. Auch dies ist wohl als Selbstzitat gemeint, aber im Vergleich mit dem zu Recht gerühmten Schlussbild von „Stroszek“ mit den tanzenden Hühnern ist die Metapher hier so platt, dass man eher peinlich gerührt ist.
Über weite Strecken ist „The White Diamond“ schlicht langweilig, und daran können auch die ausgesucht schönen Landschaftsaufnahmen der Kameramänner Henning Brümmer und Klaus Scheurich nichts ändern. Aber ganz abschreiben sollte man Herzog noch nicht, denn gerade hat er auf dem Sundance-Filmfestival mit seiner allerneusten Dokumentation „Grizzly Man“ Furore gemacht. Darin erzählt er von dem Bärenforscher Timothy Treadwell, der jahrelang unter Grizzlys lebte und schließlich von einem seiner Lieblinge getötet und aufgefressen wurde. Für einen Herzogfilm ist das ein Happy-End, doch das fehlte ihm ja leider beim „White Diamond“. Wilfried Hippen