kommentar : Ein Referendum zum EU-Beitritt der Türkei? So wird der Populismus salonfähig
Nichts gegen Volksbefragungen – die Europäische Verfassung zum Beispiel würde durch ein europaweites Referendum die Legitimität bekommen, die das Projekt Europa so dringend braucht.
Wenn allerdings der künftige Kommissionspräsident José Barroso nun fordert, das Volk über den Beitritt der Türkei abstimmen zu lassen, ist das politisch kurzsichtig. In den Händen eines begabten Demagogen können derartige Befragungen zum gefährlichen Werkzeug werden. Zum Beispiel, wenn ein über Jahre sich entwickelnder Annäherungsprozess zwischen Völkern auf die Frage reduziert wird: Wollen wir die Türken in Europa haben, ja oder nein?
Wenn das Volk die Antwort geben soll, die Politiker nicht auszusprechen wagen, riecht das nach Missbrauch und Populismus. Nur einmal ist der Beitritt eines Landes zur EU von einem Referendum Dritter abhängig gemacht worden. Die Zyprioten wurden gefragt, ob sie den Nordteil der Insel ebenfalls in der Union sehen wollen – das Ergebnis ist bekannt. Günter Verheugen hat damals die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass man nicht auf die Fairness von Menschen vertrauen soll, die über das Schicksal anderer entscheiden, ohne selber negative Folgen fürchten zu müssen.
Bis gestern konnte man die Debatte um ein Türkei-Referendum noch als innerfranzösisches Geplänkel ansehen. Optimisten konnten darauf rechnen, dass der Zweikampf zwischen Jacques Chirac und Nicholas Sarkozy längst Schnee von gestern ist, wenn die Frage akut wird. Nun aber hat der neue Kommissionspräsident aus Portugal das Thema für alle 25 Mitgliedstaaten salonfähig gemacht. Jede Regierung kann sich künftig auf seine Worte berufen und damit das Volk zu jedem beliebigen Zeitpunkt zum Thema Türkei an die Urnen rufen.
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, welche Sprengkraft diese Möglichkeit in den Händen eines Edmund Stoiber, einer Angela Merkel oder eines Jörg Haider entwickeln kann. Oder es werden sich andere finden, die das Thema so richtig ausschlachten könnten.
Es gibt viele gute Gründe zu glauben, dass ein türkischer Beitritt mit einer tieferen Integration der Europäischen Union unvereinbar ist. Die möglichen Ressentiments einer aufgeputschten Wählergruppe gehören ganz sicher nicht dazu. Kommissionspräsident Barroso sollte ein offenes Wort mit Herrn Erdogan reden, statt sich hinter den Wählern zu verstecken.
DANIELA WEINGÄRTNER