kohle : End Game in Düsseldorf
NRW erlebt das vorweggenommene Endspiel der Legislaturperiode, die „Schlacht um Mittelerde“ à la Rheinruhr. Der Kampf um die Kohle, die Auseinandersetzung um den geplanten Börsengang des Ex-Ruhrkohlekonzerns RAG ist der zentrale Konflikt der NRW-Landespolitik. Es ist ein finanzpolitischer Machtkampf um Milliardensubventionen, Zechenaltlasten und die Energieversorgung des Landes. Nicht nur die Kohlekumpel und die RAG rackern sich ab – auch Politik- und Medienmacher investieren viel in das große Spiel.
Gewerkschafter wittern Diffamierungskampagnen subventionskritischer Wissenschaftler, schwarz-gelbe Koalitionspolitiker weiden sich an Anti-RAG-Kampagnen in der Regionalpresse, Grünenpolitiker drohen mit Verfassungsklagen. Ausgerechnet im Jahr des 60. Landesjubiläums fechten die Kontrahenten einen Grundkonflikt aus, der weit in die Geschichte des Landes zurückreicht und die NRW-Zukunft entscheidend verändern wird. Der Kohlekampf ist heftiger als andere NRW-Streitthemen der Vergangenheit wie der Metrorapid oder das Dauerproblem Schulpolitik. Mehr als nur Geld steht auf dem Spiel. Es geht um alles.
ANALYSE VON MARTIN TEIGELER
Der Bund kann kein Interesse daran haben, auf den finanziellen Schrotthalden der Zechen sitzen zu bleiben. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers kann seinen Haushalt nur sanieren, wenn er die Subventionen kappt. Nur so kann er sein wichtigstes Wahlversprechen einhalten, und in NRW eine seriöse Finanzpolitik machen. Die FDP verteidigt die Lehre des reinen Marktes und führt einen scheinheiligen Krieg gegen den Subventionsstaat. SPD und Gewerkschaften bemühen sich, eines ihrer letzten Refugien zu verteidigen. Die oppositionellen Grünen spielen ihre Lieblingsnebenrolle: die Propheten kommender Energiewenden. Aus dem Streit um die Kohle wird deshalb ein tägliches Ringen um Selbstvergewisserung der Parteien, ein Aufeinandertreffen unverrückbarer Grundpositionen.
Vieles spricht dafür, dass der politische Verlierer dieses Konflikts auch die NRW-Landtagswahl 2010 kaum gewinnen kann. Wer unter Tage versagt, fällt in ein Loch: Scheitert Schwarz-Gelb im Subventionsstreit, hat die Koalition vor allem finanziell wenig Spielraum für ihre konservativ-liberale Reformagenda. Zerfällt das Jahrzehnte lang gewachsene rote Netzwerk aus Subventionsgebern- und -nehmern, dürfte sich die Krise der ohnehin schwer angeschlagenen NRW-SPD verschärfen.
Seltsame Allianzen haben sich im Kampf um die Kohle herausgebildet. Die Antisubventionsfronde reicht von den Grünen über die FDP bis zur Rheinischen Post. Geht der Essener Beihilfenkonzern in die Knie und fällt der Steinkohlebergbau, wäre dies keineswegs gleichbedeutend mit einer Energiewende. Schwarz-Gelb wäre dann so stark, dass CDU- und FDP-Politiker einen energiepolitischen Durchmarsch versuchen könnten: den Wiedereinstieg in die Atomenergie. In diesem Fall wäre das ganze Land der Verlierer.