körting zu sürücü-urteil : Ein ungutes Gefühl bleibt
Kaum ein Strafprozess hat Berlin so bewegt wie der Fall Hatun Sürücü – der jungen deutsch-türkischen Mutter, die von ihrem jüngsten Bruder hingerichtet wurde. Der Grund: Sie war ihrer Zwangsehe entflohen und soll so die Familienehre beschmutzt haben. Das Urteil – Haft für den Täter, Freispruch für die mit angeklagten Brüder – hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) zu einer harschen Reaktion veranlasst: Habe die Familie Ehre, solle sie Deutschland verlassen. Diese Reaktion ist verständlich und hilflos zugleich.
Kommentar von RICHARD ROTHER
Denn nach allem, was in dem Prozess zum Vorschein kam, ist fraglich, dass die Familie nichts mit der Tat zu tun hatte. Für die Brüder gab es dennoch einen Freispruch – aus Mangel an Beweisen. Reichen die Beweise wirklich nicht aus, ist dies für die Richter in einem Rechtsstaat das einzig mögliche Urteil. Ein ungutes Gefühl bleibt dennoch. Dieses Gefühl hat Körting auf den Punkt gebracht. Mit Worten, die auch die Familie versteht.
Sollte sie sich Körtings Worte zu Herzen nehmen und Berlin in Richtung Türkei verlassen, wäre aber nichts gewonnen: Zwangsheiraten und „Ehrenmorde“ sind in Istanbul oder Adana genauso schlimm wie in Tiergarten oder Neukölln. Körting mobilisiert damit nur einen Stammtischreflex: Leute wie euch wollen wir hier nicht, sie sollen abhauen, basta. Diese Leute leben aber hier in Berlin, und selbst Körting kann sie nicht alle abschieben.
Wichtiger als solche Drohungen wäre ein Signal an die Community, das Behörden, Schulen und Vereine deutlicher als bisher im Alltag aussenden können: Wir dulden keine Zwangsverheiratungen – mit oder ohne expliziten Straftatbestand. Und wir helfen möglichen Opfern. Die beste Hilfe aber ist, Mädchen und junge Frauen zu selbstbewussten und gebildeten Menschen zu erziehen. Ihre frühzeitige Abschiebung in eine Resteschule, deren Abschluss keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt lässt, ist dafür der falsche Weg.