kleine heinekunde (5) : Der Papagei
Es war gar nicht seiner, er gehörte seiner Frau. Papageien interessierten Heine nicht. Nur zweimal tauchen sie in seinen Werken auf, einmal als geckenhafte „französische Papageien“ (im Gegensatz zu „deutschen Bären“), einmal als Symbol für verblichene Herrlichkeit: „auf einem wackligen Brette stand der ausgestopfte Papagei der seligen Großmutter, der jetzt ganz entfiedert und nicht mehr grün, sondern aschgrau war und mit dem einzigen Glasauge, das ihm geblieben, sehr unheimlich aussah.“
Dann kam Mathilde, das Ladenmädchen, die er heiratete, und bald darauf brach Heines Krankheit (vermutlich Multiple Sklerose) brutal durch, Lähmung und Schmerzen über Jahre, „festgenagelt“ an ein Bett in einem abgedunkelten Raum. Madame Heine im Nebenzimmer liebte alles, was bunt und laut war, und kaufte sich einen Papagei (vielleicht hat er ihn ihr auch geschenkt). Farbenfroh plappernd saßen Frau und Vogel im Salon, und Heine kam das hart an. „Ich schreibe Ihnen heute unter den verdrießlichsten aeußern Verhinderungen“, schrieb er 1839 an einen Freund, „draußen schneekaltes Sturmwetter, in meinem Zimmer mehr Rauch als Feuer neben mir ein Papagey der beständig schreit und ein schönes Weib welches mit einer alten tauben Magd zankt.“ Dichteralltag.
Nach jahrelangem Gezeter wurden die geschwätzige Frau auf dem Sofa und der plappernde Vogel in der Volière eine Einheit. „Sie und der Papagey zekenen den ganzen Tag – doch ich hab beide nöthig“, bekannte er 1847. Ein Jahr später wird der gehasste Vogel sogar zum Lebensretter, einem Stück Anbindung an die Welt draußen: „Verflucht schlechte brustglucksende Nächte; hätte ich nicht Frau und Papagey, ich würde (Gott verzeih mir die Sünde) wie ein Römer der Misère ein Ende machen!“
Heine hat den komischen Vogel auf seine Weise lieben gelernt. Er war jetzt im Exil, fast blind, halbseitig gelähmt, von Muskelkrämpfen zermürbt – selbst eine tragische Figur wie der Papagei der seligen Großmutter. Seinen Lesern aber hatte er es mit einer ironischen Wendung immer verweigert, es sich in ehrlichen, deutschen Gefühlen gemütlich zu machen. Jetzt zeigte er Größe, indem er es mit sich selber tat. „Hätte ich nicht Frau und Papagey“ kam ihm gerade in extremis recht. PHILIPP BLOM