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Archiv-Artikel

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Zum Gedenken an die Flutopfer rief die Europäische Union gestern ihre Bürgerinnen und Bürger zu drei Schweigeminuten auf. Und was machten die Bürgerinnen und Bürger, die beim Fernsehen arbeiten, in dieser Zeit?

Mittwoch, 11.56 Uhr: Auf RTL bekommt eine Frau mit Zungenpiercing ein Kind, auf Pro7 wird renoviert, auf RTL II gelacht, im RBB gekocht (Lauchgratin, naja). Der NDR schaut Fischern auf Curacao bei ihrer beschaulichen Arbeit zu, auf Viva waschen großbusige Frauen ein Auto, und der MDR berichtet über „die Überreste tausender, plötzlich verstorbener Meerestiere“, versteinerte, versteht sich. Im Regionalsender TV.Berlin spricht eine Frau über Geburt, Tod und Vorbestimmung, und im Nachrichtensender N24 wiesen die Moderatoren betreten darauf hin, dass – initiert von der EU-Ratspräsidentschaft und auf Empfehlung von Innenminister Otto Schily – am Mittwochmittag in ganz Europa mit drei Schweigeminuten an die Opfer der Flutwellen in Südasien erinnert werde und sich daran in Deutschland (neben diversen Verkehrsbetrieben, der Bahn, dem Berliner Abgeordnetenhaus, der Bundesregierung, Verwaltungen, Schulen und Hochschulen, der Frankfurter Börse usw.) auch die Fernsehsender beteiligen wollten. „Pünktlich um 12 Uhr“, wie es bei N24 hieß.

Dann ist es 12 Uhr …

… und ARD und ZDF zeigen gemeinsam Bilder von der Berliner Gedächtniskirche, man hört Glockenläuten, der MDR zeigt den Bahnhofsvorplatz in Leipzig, TV.Berlin ein eingestürztes Haus, MTV zeigt das MTV-Logo. Sat.1, Pro7 und Kabel1 haben sich ebenfalls fürs Glockenläuten entschieden, zeigen dazu aber auch rührselige Bilder von weinenden Babys und verzweifelten Menschen, RTL und RTL2 ebenfalls, allerdings mit trauriger Musik unterlegt. Nur der BR hatte sich nicht an die Verabredung gehalten, sondern schon vor 12 Uhr mit dem Gedenken angefangen und ein paar Verzweifelte in Trümmern gezeigt.

Dann war’s aber auch schon 12.03 Uhr, wurde weitergelacht, weiterrenoviert, weitergesendet, was sonst? Gesendet wurde ja auch während des Schweigens – und am angemessensten vielleicht auf Viva und Vox, wo man drei lange Minuten lang nichts weiter zu sehen bekam als eine Texttafel mit Spendenaufruf. Bleibt die Frage, wie sinnvoll die Idee des Nachrichtensenders n-tv war, im Anschluss ans kollektive Schweigen zu den Vor-Ort-Reportern in Hamburg und München zu schalten, die während der Schweigeminuten „in die Gesichter der Menschen geschaut“ haben und tatsächlich berichten konnten, dass „die Menschen minutenlang in Schweigen verharrten“. Immerhin hieß es bei n-tv schließlich live von der Frankfurter Börse: „Hier hat wirklich jeder geschwiegen.“ (Puh!)

CHRISTOPH SCHULTHEIS