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Archiv-Artikel

kabinenpredigt Jugend trainiert

Wenn der Trainer ruft, dann haben alle strammzustehen. Nicht nur die Kinder – auch die Schwimmeltern. Zuerst haben alle ein wenig gestöhnt. „Der spinnt doch!“ Der Trainer hat Großes vor. Beim letzten Wettbewerb hatten seine Köpenicker Kids Athleten keine Chance gegen die Neun- bis Zwölfjährigen Schwimmhoffnungen vom übermächtigen Konkurrenzclub aus Hohenschönhausen. Das soll nun anders werden. In der neuen Saison sollen die Kinder drei statt zwei Mal in der Woche trainieren: montags, dienstags, donnerstags. Die Eltern murren vor allem über den Donnerstagstermin. Trainingsbeginn 18 Uhr. „Wann sollen die Kinder denn dann noch fernsehen?“, mokiert sich nicht nur eine Mutter. Dennoch sind am ersten langen Donnerstag alle da. Schließlich geht es um die Zukunft des deutschen Sports.

Eriks Mutter steht mit einem Schokoriegel in der Hand vor der Schwimmhalle und schaut durch die Scheibe ihrem Sohn beim Training zu. Sie ist nicht zufrieden. Erik kann als Einziger immer noch keinen Kopfsprung. Dabei habe er Talent, sagt sie – und: „Der ist so schnell, das kann einmal ein ganz Großer werden.“ Dazu müsste er allerdings den Kopfsprung beherrschen. Dann presst sie den Schokoriegel an die Scheibe und macht mit dem Kopf merkwürdige Bewegungen. „Für Schokolade macht er normalerweise alles“, erläutert sie. Eriks Mutter ist verzweifelt: „Ich habe schon alles probiert. Nicht einmal das Fernsehverbot hat geholfen“, jammert sie. Vielleicht helfe ja der Schwimmunterricht in der Schule. „Das wird verlangt, das prüfen die ab.“

„Ich habe meine Tochter vor zwei Jahren einfach mal vom Fünfmeterturm geschubst, seitdem klappt das alles“, weiß der Vater von Julia. Eriks Mutter stimmt ihm zu und meint, das hätte sie auch schon lange gemacht, sie wisse nur nicht, wie sie Erik auf den Turm hinaufbringen solle. „Na, vielleicht wenn ich ihm sage, dass er sonst zwei Monate lang nicht mehr zu McDonald’s gehen darf“, räsoniert sie. Ich mische mich ein und sage, dass sie dann natürlich darauf achten müsse, Erik so zu schubsen, dass er mit dem Kopf zuerst ins Wasser eintaucht. Die Eltern vor der Scheibe schauen mich entsetzt an. „Du bist ja hart drauf“, sagt eine. Eriks Mutter steht weiter wild gestikulierend vor der Scheibe und hält den Schokoriegel hoch. Ab und zu schielt sie zu mir rüber. Dabei verdreht sie die Augen. Sie scheint mich für einen Unmenschen zu halten.

Als das Training zu Ende ist, schiebt sie sich den Riegel in den Mund. „Strafe muss sein“, sagt sie, grinst ihren Sohn an und schiebt mampfend ab. ANDREAS RÜTTENAUER