jobs, geld etc. : Unter uns urbanen Pennern
Urbane Penner nennt man das jetzt also, wenn Kreativsklaven sich für selbstbestimmte Selbstausbeutung anstatt Angestelltendasein entscheiden. Das Berliner Stadtmagazin mit dieser Titelgeschichte hat jedenfalls ziemlich eingeschlagen: Alle reden drüber! Der Arbeitsplatz dieser urbanen Penner sind kahle Parterrebüros, wo sie hinter Schaufenstern spät am Abend auf den Monitor starren und in Wirklichkeit wahrscheinlich Spiegel-Online lesen oder Solitär spielen. Ich muss dabei immer an die Prostituierten in Amsterdam denken, und es ist ja auch nichts anderes, von wegen selbstbestimmt …
Überhaupt: Laut Statistik erbt ein westdeutscher gleichaltriger (35) urbaner Penner 311.000 Euro (ohne Immobilien!), ich ostdeutscher urbaner Penner 22.000. Ich denke, dieses Wissen lässt einen anders in den Tag gehen. Warum soll ich Mitleid haben mit jemandem, der die Zeit bis zur Erbschaft damit totschlägt, sinnlose Websites zu designen, überflüssige Clubs zu verhübschen oder lustige Umstandsmode zu entwerfen, und sich deshalb kreativ nennen darf? Und trotzdem im auf Pump bezahlten Anzug herumläuft? Eine Freundin aus München hat nach ihrem Soziologiestudium immer die Jobanzeigen in der Zeit studiert. Ich schwankte zwischen Rührung und Unglaube. Ein Job, der auf dem Studium aufbaut? Zu studieren bedeutete doch von vornherein Verzicht auf Karriere, zugunsten von Erkenntnis. Vielleicht fehlt mir einfach die Vorstellungskraft, diese Jobanzeigen für mehr als einen Scherz zu halten. Was da für Menschen gesucht werden, die kann es doch gar nicht geben.
Bin ich ein urbaner Penner, weil ich kein Geld verdiene? Hinter dem Begriff steckt das Anspruchsdenken, irgendwer müsste einen bezahlen. Aber warum soll sich die Gesellschaft tausende Soziologen und Flyer-Designer leisten? Oder Künstler? Opernhäuser? Meine Lesebühne, die „Chaussee der Enthusiasten“, das Ergebnis meines „urbanen Pennerseins“, zieht wöchentlich in einem schlecht beheizten Saal ohne Lüftung 300 Zuschauer an. Theater bekommen 20 Millionen im Jahr. In der Wirtschaft wäre das Wettbewerbsverzerrung und würde verfolgt. Subvention ist Diebstahl! JOCHEN SCHMIDT