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Archiv-Artikel

jenni zylka über Sex & Lügen Taschenträumen für den Frieden

Kind und Mann mit Bart sind schlecht, gefangene Otter hoffnungsvoll. Eine Anleitung zur Rettung der Welt

Weil ich die Nase voll davon hatte, aufzuwachen und keine Erklärung für die merkwürdigen Bilder zu finden, die mich im Traum heimsuchen, schlug ich neulich auf dem Flohmarkt zu und investierte einen müden Euro in „Das große Traumdeutungsbuch“. Es liegt seither auf dem Nachttisch und wartet still. Und mein Leben hat sich mit diesem Buch verändert, das kann ich jetzt schon sagen. In der ersten Nacht mit Traumdeutungsoption hatte ich geträumt, ich schaute einem großen, dicken Mann dabei zu, wie er einen altmodischen Rucksack auspackt und dabei, ganz zuunterst, ein quietschfideles Baby findet. Der Mann sah ungefähr aus wie Dieter Pfaff, das Baby ungefähr auch.

Die Erklärung zum „Kind“ klang schlimm: „Zornausbruch in nächster Zeit“. Diese alberne Deutung machte mich so wütend, dass ich das Buch in die Ecke schleuderte. Ich konnte mich aber beruhigen und analysierte weiter. Auch bei „Rucksack“ ließ mein Buch sich nicht lumpen: „Unerwünschter Besuch“. Am selben Tag klingelte es an der Tür und jemand sagte mit verstellter Stimme „Post!“. Ha! Ein hinterhältiger GEZ-Feind, den ich dank meines Buches entlarven konnte.

„Mann“, sagte mein Buch, bedeute, „ein Fehlkauf wurde getätigt“. Hmm. Immer noch besser als „Mann mit Bart“, das hieße „Bitternisse und Kummer“. Ein Glück hatte mein Traummann keinen Bart.

Ein paar Nächte später träumte ich aber von besagtem Mann. Er trug einen dichten, schwarzen Schnäuzer und symbolisierte eindeutig Saddam Hussein, einen der vielen Männer, die der ganzen Welt momentan „Bitternisse und Kummer“ bereiten. In dem Traum lief Saddam zwischen ein paar Hochhäusern auf und ab und ging dann in einen Hutladen, wo ich auf ihn wartete. Aufgeregt schritt ich zur Analyse.

„Hochhaus“ gibt es leider in meinem Buch nicht. Ich könnte mir aber vorstellen, ein unbewusstes Opfer submentaler Bilder und Botschaften geworden zu sein, die die Amerikaner auf CNN, das ich in die letzten zwei Wochen oft habe laufen lassen, eingeschmuggelt und untergeschaltet haben. Jene versteckten Botschaften beziehen sich natürlich auf die angeblichen Verbindungen des Irak zur al-Qaida. Somit wären die Hochhausbilder geklärt. Bei „Hutladen“ wurde mein Buch etwas ungenau. Hätte ich von einem „Hut, vom Winde verweht“ geträumt, dann wäre die Deutung einfach: Mir stünde eine „finanzielle Belastung durch verschwendungssüchtige Frau“ bevor. Ein typischer Donald-Trump- und Marcos-Traum vermutlich. Doch in dem Hutladen, in dem ich im Traum auf einem schönen, weißen Marmortisch saß und wartete, gab es nicht mal Zugluft. Ein Cowboyhut hätte, das deute ich jetzt mal ganz ohne Buch – bin schließlich schon sehr deutungssicher –, auf den US-amerikanischen Kriegsherren hingewiesen, genauso wie ein mit Diamenten besetzter Hut, das hätte nämlich „ein Fehltritt zeigt schwere Folgen“ bedeutet. Das Buch kannte aber immerhin die Bedeutung von „Marmortisch“: „Man bekommt Unbescheidenheit vorgeworfen.“ Mir, der größten lebenden Traumdeuterin, Unbescheidenheit vorwerfen, pah! Aber weit und breit keine Spur von einem Hutladen.

Ich fasste einen wahnwitzigen Plan: Ich beschloss, das Pferd von hinten aufzuzäumen und zu versuchen, meine Träume im Voraus thematisch in die richtigen Bahnen zu lenken, um das Schicksal der Welt zu beeinflussen. Als Erstes suchte ich mir positive und Friedenssymbole aus dem Traumbuch. Leider gibt es nicht viele, das muss ich mal sagen, und sie sind auch nicht besonders schön. „Rasen mit Jauche düngen“ ist zum Beispiel eines, es bedeutet, dass sich eine „positive Hoffnung erfüllt“. Leider habe ich im wahren Leben keinen grünen, sondern einen schwarzen Daumen und befürchte, dass ich das „Rasen mit Jauche düngen“ nicht unbedingt als Prioritätsthema in meine Träume kriegen werde. Vom „Otternfangen“ zu träumen heißt angeblich, man findet einen „Ausweg aus einer verfahrenen Situation“. Verdammt. Mein Plan zur Rettung der Welt gestaltete sich schwieriger, als ich dachte. Noch nie habe ich von Ottern geträumt, geschweige denn davon, einen zu fangen. Ich weiß nicht mal genau, wie Otter aussehen und in welches Haus ich im Zoo gehen müsste, um mich mit einem anzufreunden. Was essen diese blöden Viecher überhaupt? Schließlich bräuchte ich einen Köder! Nach einigen anstrengenden Nächten hatte ich so etwas Ähnliches wie einen Otter zustande geträumt, aber wenn ich ehrlich bin, erinnerte mich das haarige Ding, das da durch meinen schlafenden Kopf schlich, eher an einen bengalischen Tiger.

Und der bedeutet laut meinem unfehlbaren Buch, dass „ein draufgängerischer Mensch schlaflose Nächte verursacht“. Mist. Wenn man das auf George W. Bush bezieht, habe ich damit womöglich sogar kontraproduktiv geträumt. Shame on me!

Aber dann entdeckte ich doch noch ein Symbol, das zu träumen auch einem naturentfremdeten Stadtkind wie mir gelingen könnte: Von einer simplen „Tasche“ zu träumen bedeuet die „friedliche Lösung einer heiklen Angelegenheit“. Ob das eine schnieke, bizepsgroße Damenhandtasche mit Fake-Designerlogo, eine mit Bier gefüllte Kühltasche oder eine bunte Schultasche ist, spielt dabei keine Rolle, glaube ich. Mann, das hätte man vor zwei Wochen wissen müssen! Hiermit fordere ich die Welt auf, möglichst viele Taschen in ihre Träume einziehen zu lassen. (Oder auch Mickymaus, siehe Informationen zur Traumdeutung.) Vielleicht ist es schon zu spät. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.

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